Was sind Beurteilungsfehler?

Hinter falschen und ungenaue Beurteilungen, ob absichtsvoll oder unbeabsichtigt, verbergen sich oft verschiedene Gründe.  Im Folgenden werden einige hiervon vorgestellt.

Gründe für ungenaue Beurteilungen

  • Angst vor Konfrontation
  • Peinlichkeitsgefühle beim Loben
  • Gute oder schlechte Leistung wird nicht bemerkt
  • Leistung gilt als Selbstverständlichkeit
  • Beurteilung darf nicht viel Zeit kosten
  • Keine Akzeptanz des Messinstruments
  • Keine Vertrautheit mit der Beurteilungsskala

Und Sie? Was sind Ihre Erfahrungen mit Beurteilungen?

Bitte denken Sie über Ihre Erfahrungen nach, die Sie im alltäglichen Leben, am Arbeitsplatz oder während des Studiums, machen.

Welche Fehler werden Ihrer Meinung nach immer wieder bei Beurteilungen gemacht? Bitte nehmen Sie sich etwas Zeit zum Nachdenken.

Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit den 12 Fehlern, die im Folgenden beschrieben werden.

Häufige Beurteilungsfehler: Mildefehler, Strengefehler und Zentraltendenz

  • Mildefehler: Tendenz, zu positiv zu beurteilen
  • Strengefehler: Tendenz, zu negativ zu beurteilen
  • Zentraltendenz: Tendenz, extreme Beurteilungen zu vermeiden und durchschnittliche oder neutrale Kategorien zu bevorzugen.

Bei einer hinreichenden Anzahl von Beurteilungen verteilen sich die Beurteilungen auf der Skala des FINCODA-Barometers statistisch gesehen wie in der folgenden Grafik veranschaulicht:

Eine Person, die überwiegend den linken Bereich der Skala für ihre Beurteilungen nutzt, begeht einen „Strengefehler“. Beim „Mildefehler“ wird ausschließlich die rechte Bereich der Skala genutzt. Die „Zentraltendenz“ zeichnet sich dadurch aus, dass lediglich die mittleren Kategorien bei der Beurteilung genutzt werden. Bei allen Fehlern wird nicht die Gesamtheit der Skala des FINCODA-Barometers (nicht beobachtbar bis hervorragend) ausgenutzt.


Was Sie sich darüber hinaus über Milde- und Strengefehler sowie Zentraltendenz merken sollten:

Milde-, Strenge- und Zentraltendenz müssen keine fehlerhaften Beurteilungen sein, sondern können der tatsächlichen (!) Verteilung der Werte entsprechen.

Ein Grund für eine solche ungewöhnliche Verteilung der Werte könnte in einer Selektion liegen. Beispielsweise stellt eine Eliteabteilung nur die besten Bewerber ein, daher liegen die Bewertungen für alle Bewerber und Bewerberinnen auf der rechten Seite der Skala. Oder es könnte an Arbeitsmarktproblemen liegen: Auf dem Arbeitsmarkt sind keine hervorragenden Fachleute zu den üblichen Firmengehältern zu finden, daher liegen die Beurteilungen für alle Bewerber und Bewerberinnen auf der linken Seite der Skala.

Die Forderung nach Bewertungsergebnissen entsprechend der normalverteilten Glockenkurve ist hier daher nicht angebracht.


Weitere Beurteilungsfehler

  • Selektive Wahrnehmung
  • Reihenfolge-Effekt
  • Halo Effekt
  • Ähnlichkeits-Effekt
  • Kontrast- /Kontext-Effekt
  • Stereotypisierung
  • Vorurteile
  • Attribution

Diese Fehler werden im Folgenden näher erläutert:

Selektive Wahrnehmung

Abhängig von Interessen, Erfahrungen, Einstellungen wird etwas wahrgenommen und beurteilt oder ignoriert. Informationen, die bisherige Vorstellungen stützen, werden herausgelesen, gegenteilige Informationen werden herausgefiltert.

Diese Problematik haben Sie schon beim Verhaltensbeobachtungs-Training (VBT) kennengelernt.


Reihenfolge-Effekt

Tendenz, die Bedeutung der zeitlich vorangehenden Informationen zu überschätzen („Der erste Eindruck zählt“).


Halo- oder Hörner-Effekt

Der Gesamteindruck von einer Person wird bestimmt von einem einzelnen Merkmal.
Jemand erhält insgesamt höhere oder niedrigere Werte, wenn die Werte in einem speziellen Bereich besonders hoch oder niedrig sind. Zum Beispiel bekommt eine sehr attraktive Person auch auf anderen Beurteilungsdimensionen höhere Werte.


Ähnlichkeits-Effekt

Ähnlichkeit schafft Sympathie. Wenn wir Menschen beurteilen, neigen wir dazu, diejenigen zu bevorzugen, die uns ähnlich sind.

Hier ein Beispiel:


Attribution

Tendenz, die situativen Gegebenheiten zu unterschätzen, die die Leistung der beurteilten Person beeinflusst haben und gleichzeitig die persönlichen Eigenheiten stark zu betonen (Charakter, Absichten). Beispielsweise werden zu spät kommende Personen als unzuverlässig eingestuft, ohne zu berücksichtigen, dass unkalkulierbare Verspätungen im öffentliche Personennahverkehr Ursache waren.


Stereotypisieren

Beurteilung einer Person auf der Basis der Wahrnehmung ihrer Gruppenzugehörigkeit. Zum Beispiel beurteilt ein Vorgesetzter einen jungen Menschen negativ, weil er die grundsätzlich Überzeugung hat, dass junge Leute nicht bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.

Hier ein weiteres Beispiel:


Kontrast- / Kontext-Wirkung

Verhaltensbeurteilung wird oft mitbestimmt durch den Vergleich mit anderen. So könnte z.B. eine Mitarbeiterin eine bessere Beurteilung bekommen, weil sie besser ist als andere in ihrer Abteilung. Aber nur nach den vorgegebenen Standards beurteilt, liegt sie immer noch weit zurück.

Wer andere Menschen beurteilten soll, findet es oft leichter, Vergleiche in einer Gruppe anzustellen als das individuelle Verhalten mit standardisierten Skalenwerten zu vergleichen. Mit dem Ergebnis, dass dann die Werte für eine Person von der zufälligen Gruppenzusammensetzung abhängen.


Persönliche Vorurteile

Gemeint ist Diskriminierung aufgrund von Alter, Geschlecht, Herkunft, usw. Persönliche Vorurteile werden aus verschiedenen Quellen gespeist: Informationen von Kollegen, Einstellungen, Weltanschauungen, sozialer und familiärer Hintergrund

Hier ein Beispiel:

Persönliche Vorurteile sind häufig gar nicht bewusst. Sie finden mehr dazu beim Forschungsprojekt „Harvard Implicit“.

Persönliche Vorurteile – Der Harvard Implicit Association Test

Der Harvard IAT misst unbewusste – implizite – Einstellungen und Vorurteile, zu denen sich Menschen nicht bekennen können oder wollen.

Im IAT werden Sie aufgefordert zwei Begriffe zu kombinieren (z.B jung und gut oder alt und gut). Je enger diese beiden Begriffe in Ihrem Bewusstsein assoziiert sind, desto leichter ist es, auf sie als eine Einheit zu reagieren. Wenn also jung und gut eng assoziiert sind, dann sollte es Ihnen leichter fallen, schnell mit einem Tastenklick zu reagieren. Wenn alt und gut nicht so stark assoziiert sind, sollte es Ihnen schwerer fallen, schnell zu reagieren, wenn diese gepaart wurden. Daraus ergibt sich ein Maß, wie eng die beiden Begriffe jeweils miteinander verbunden sind. Je enger die Verbindung, um so kürzer die Reaktionszeit.

Über den folgenden Link können Sie mehr über Ihre eigenen impliziten Vorurteile herausfinden:

https://implicit.harvard.edu


Zusammenfassung – Beurteilungsfehler

  • Milde-, Strengefehler und Zentraltendenz
  • Selektive Wahrnehmung
  • Reihenfolge-Effekt
  • Halo-Effekt
  • Ähnlichkeits-Effekt
  • Attribution
  • Stereotypisierung
  • Kontrast- /Kontext-Effekt
  • Vorurteile

Eine sehr differenzierte, fehlerfreie Beurteilung ist häufig in Alltagssituationen nicht notwendig. Oft geht es vielmehr darum, in einer komplexen Umwelt Sicherheit und Orientierung zu schaffen (Komplexitätsreduktion). In professionellen Beurteilungskontexten sind hingegen Beurteilungsfehler möglichst zu vermeiden.
Ob Beurteilungsfehler beabsichtigt oder unbeabsichtigt gemacht werden, ist häufig schwer zu erkennen.

Eine ausführliche Auflistung weiterer Fehler mit Erläuterungen (in englischer Sprache) finden Sie auch auf  https://yourbias.is/