Intersektionalität

Die Metapher der Straßenkreuzung

Photo by Martin Reisch on Unsplash

Bei einer Straßenkreuzung treffen mehrere Wege aufeinander, sie überschneiden und kreuzen sich. Die Straßenkreuzung ist ein metaphorisches (übertragbares) Bild für das Konzept der Intersektionalität. Denn Straßenkreuzung bedeutet auf Englisch Intersection und davon leitet sich der Begriff Intersektionalität ab.

 

Kimberlé Crenshaw verwendet diese Metapher der Straßenkreuzung, die das gleichzeitige Zusammenwirken und die Verwobenheit von sozialen Ungleichheiten, wie unter anderem Rassismus, Klassismus und Sexismus, deutlich machen soll. Crenshaw stellte fest, dass Schwarze Frauen entweder ‚nur‘ in ihrer Rolle als Frauen angesprochen wurden oder dass ‚nur‘ ihr Schwarzsein in den Mittelpunkt gestellt wurde. Sie machte Ende der 1980er Jahre auf folgendes rechtliches Problem aufmerksam: Schwarze Frauen wurden von den Unternehmen nicht eingestellt. Wollten sie dagegen klagen, konnten sie sich weder auf Diskriminierung wegen Rassismus noch wegen ihres Geschlechts berufen. Denn: Die Unternehmen sagten, sie würden ja Frauen beschäftigen – doch eben nur weiße Frauen. Und sie proklamierten, dass sie doch Schwarze beschäftigen würden – doch eben nur Schwarze Männer. Die Diskriminierung Schwarzer Frauen wurde rechtlich somit unsichtbar gemacht. Es fehlte ein Konzept, um die Kategorien „Geschlecht“ und „race“ und die damit verbundenen Ausschlüsse zugleich zu betrachten. Um das Phänomen zu veranschaulichen, nutzt Kimberlé Crenshaw die Metapher einer Straßenkreuzung.

 

Es werden auch Alternativen zur Metapher der Staßenkreuzung diskutiert, wie zum Beispiel das Konzept der Interdependenz. Damit soll hervorgehoben werden, dass die Idee separater Herrschaftsstränge, die sich kreuzen, zu vereinfachend sei.

Intersektionalität ist ein Konzept, 

das vielfältige Diskriminierungen von Menschen 

und die Wechselwirkung mehrerer Diskriminierungen sichtbar macht. 

Eine queere Frau of Color mit Behinderungen 

erlebt beispielsweise diese ineinandergreifende Wirkung von Diskriminierungsverhältnissen.

Die spezifischen Erfahrungen mehrfachdiskriminierter Menschen bleibt jedoch oft unsichtbar.

Zwei blaue Krokodile und
die Lücke im System

Video abspielen

In diesem Video wird die Perspektive der Intersektionalität veranschaulicht. Für die Schwarzen Frauen aus Crenshaws Beispiel gab es keinen Rechtsschutz und für die blauen Krokodile gibt es keinen Krankenwagen. Beide Gruppen werden in dem System, in dem sie leben, vergessen. Ohne intersektionale Perspektiven haben gewisse Menschen also keine Chance ihre Diskriminierung oder Verletzungen sichtbar und damit veränderbar zu machen.

 

Die politische Geschichte
intersektionellen Denkens

Photo by @NappyStock on nappy.co

Vor Crenshaw wiesen bereits andere afro-amerikanischen Frauen mit ihrer Kritik auf die Zusammenhänge zwischen Klassenunterschieden, rassistischen und (hetero-)sexistischen Unterdrückungen hin und brachten dies in feministische Debatten ein (etwa Combahee River Collective 1977/1981 oder Angela Davis 1981). In der Kritik stand ein Feminismus, der für alle Frauen sprechen wollte, es aber nicht tat. Frauen of Color, Lesben, Frauen mit Behinderungen oder Frauen aus der Arbeiter:innenklasse waren größtenteils aus der sichtbaren Theoriebildung und von der politischen Praxis ausgeschlossen. Diese Kritik äußert(e) sich unter anderem in dem Konzept des black feminism. Als black feminism gilt die politische Bewegung gegen die vielfältige und sich gleichzeitig vollziehende Unterdrückung aller nicht-weißen Frauen. Viele Lesben, darunter besonders auch Schwarze Lesben, kritisierten, dass ihre Lebensrealitäten in der Frauenbewegung ebenfalls nicht vorkamen. Für sie war beispielsweise der Kampf um Unabhängigkeit von einem Mann als Beziehungspartner weniger relevant als für heterosexuelle Frauen.

Auch in Deutschland machten Frauen auf die Probleme von Frauen aufmerksam, die in der sogenannten zweiten Frauenbewegung der BRD keine Betrachtung hatten. Behinderte Frauen, die sich selbst als Krüppelfrauen bezeichneten, forderten eine inklusive Frauenbewegung und machten auf ihre unterschiedliche Diskriminierungserfahrung im Vergleich zu nichtbehinderter Frauen aufmerksam. Migrantinnen organisierten sich und verdeutlichten die juristische Diskriminierung nicht-weißer und nicht-deutscher Frauen. Der Zusammenschluss von Schwarzen Frauen Adefra e.V. forderte eine diversere und inklusivere Begriffspolitik und etablierte Begriffe, wie Schwarze Deutsche oder Afro-deutsch. Auch jüdische Frauen, zum Beispiel im Schabbeskreis, organisierten sich und übten Kritik an der weiß-christlichen Frauenbewegung der BRD.  

Un_Sichtbarkeit

Ein Video über das Zusammenwirken von Sexismus und Rassismus und das fehlende Zeugnis von Gewalt an Schwarzen Frauen.

Eine intersektionale Perspektive ermöglicht es, unsichtbare Verschränkungen von Diskriminierungen zu erkennen und sichtbar zu machen. Somit können mehrere Herrschaftsverhältnisse, wie z.B Sexismus, Rassismus, Klassismus oder Ableism, und ihre Verschränkungen gleichzeitig in den Blick genommen werden. Wie bei den blauen Krokodilen und den Schwarzen weiblichen Arbeiterinnen werden ohne diese Perspektive wichtige Zusammenhänge nicht artikulierbar und bekämpfbar.

Video abspielen

„Ich habe diese Übung dutzende Male […] durchgeführt […] und stets war das Bewusstsein für das Ausmaß an polizeilicher Gewalt, das schwarze Frauen erleben, schwindend gering.“

Kimberlé Crenshaw im Video „The urgency of intersectionality“

Hilfreiche Fragen
an Medienschaffende

Mehr

Das Portal Intersektionalität bietet einen gemeinsamen virtuellen Raum zur Diskussion, Vernetzung und Informationsaustausch über das Paradigma Intersektionalität. Es soll z.B. Forscher:innen und Praktiker:innen zusammenbringen, die sich positiv auf Intersektionalität beziehen. Das Portal soll allen Interessierten den Einstieg in Debatten über Intersektionalität erleichtern.