Visuelles

Tänzerin und Tanzpädagodin auf der Bühne, Blick starr, der Zeigefinger zeigt in Blickrichtung
Photo by Daniela Buchholz on gesellschaftsbilder.org

Das Recht anzuschauen, zu fotografieren und zu dokumentieren ist in unserer Gesellschaft ungleich verteilt. Das hat einerseits damit zu tun, wen wir als normal betrachten und wer als anders angestarrt wird. Das hat aber auch damit zu tun, wer über die Produktionsmittel des Schauens verfügt. Wer also Zugang zu Equipment und Entscheidungspositionen hat. Und selbst die Technik, die wir zum Fotografieren und Filmen benutzen ist nicht neutral, sondern geprägt durch einen bestimmten Blick.

 

Zurückschauen kann eine Form des Widerstands sein. Genauso wie die eigene Lebensrealität zu dokumentieren und sichtbar zu machen. So können sich andere unsichtbare Personen in der gezeigten Geschichte spiegeln und sehen, dass sie nicht alleine sind, dass auch ihre Erlebnisse und Erfahrungen zählen. Auch der Blick in eine andere und bessere Zukunft kann Widerstandspotenzial haben.

 

Bilder schaffen Wirklichkeit. Mit ihrer Produktion geht deshalb eine besondere Verantwortung einher. Visuelles Material wirkt oft als Beweis. Alles was sichtbar und visuell festgehalten ist, scheint wahr zu sein. Unsere Sehgewohnheiten sind von den Medien geprägt, die uns umgeben, wie Kinderbücher, Schulbücher, Filme, soziale Medien, Werbung. Diese beschränken unsere Vorstellungskraft unbewusst. Dies gilt es als Medienschaffende:r kritisch zu reflektieren.

 

Wie siehst du?

Es folgen einige kleine Übungen, 

um dir deinen Sehgewohnheiten bewusst zu werden.

Photo by Ariel Sion on Unsplash

Test 1:
Sehgewohnheiten
Bildersuche

Gib in deine Google-Bildersuche allgemeine Begriffe zum Thema Mensch und Körper ein. Suche z.B. nach Begriffen wie: „Hände“, „Baby“…Was fällt dir in Bezug auf Diversität auf?

Test 2:
Sehgewohnheiten Film

Fallen dir Kinofilme ein in denen: Frauen nach einem Tampon fragen oder überhaupt ihre Periode haben? Personen sich vor einer Actionszene einen Zopf binden, damit die Haare nicht ins Gesicht fallen? Menschen mit Behinderung, die Hauptrolle spielen? …

Test 3:
Sehgewohnheiten Emojis

Wir nutzen tagtäglich Emojis, um unseren Emotionen digital Ausdruck zu verleihen. Schau dir an, welche Hautfarbe die Emojis haben? Welche Frisuren tragen die Personen? Emojis sind häufig an westlichen Schönheitsidealen orientiert – andere Realitäten sind oft nicht verfügbar. Der Kunststudierende O’Plerou Grebet will dagegen etwas unternehmen. Seine alltägliche Umgebung in Côte d’Ivoire hat O’Plerou Grebet beispielsweise inspiriert Emojis zu schaffen, die Frisuren Schwarzer Menschen in seiner Heimat abbilden. Die Emojis finden sich in der App Zouzoukwa kostenlos zum Download.

 

Test 4:
"Unbewusste" visuelle
Prägung

Stöbere in Gedanken mal in deinen Erinnerungen: Wie sahen deine Kinderbücher aus? Wie sahen die Kinder darin aus? Wer war wie in deinen Schulbüchern zu sehen? Wer erklärte? Wer war im Fernsehen sichtbar? Überprüfe, die Kindheitserinnerungen auf Diversitätsaspekte. Kommen darin Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, Haarstrukturen vor? Kommen Menschen mit Behinderungen vor? 

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Aber wie?

Durch Blicke werden Menschen ausgegrenzt.

Trans* Personen und nicht-binäre Menschen kennen sie zu gut: die irritierten Blicke, das Angestarrtwerden, das dauernde Sichtbarsein. „Was bist du?! Ein Mann oder eine Frau?!“

Differenzlinien

Photo by Jorge Saavedra on Unsplash

Es gibt sichtbare und unsichtbare Differenzlinien.

Das heißt, es gibt  Diversitätsmerkmale, wie Geschlecht, Alter, körperliche Behinderungen oder Hautfarbe, die wir oft schnell wahrnehmen. Diese werden sichtbare Differenzlinien genannt. Gleichzeitig können Abbildungen (Fotos, Videos, Illustrationen) viele Aspekte von Diversität nicht gut abbilden, z.B. sexuelle Orientierung oder sozioökonomische Hintergründe. Die Vielfalt an Lebensrealitäten werden so unsichtbar gemacht. Diese Diversitätsaspekte werden unsichtbare Differenzlinien genannt. Menschen, die durch sichtbare Differenzlinien – also jene, die wir sehen können, wie Hautfarbe, körperliche Beeinträchtigung, Geschlecht oder Alter „auffallen“ – sind besonders den Blicken Anderer ausgesetzt.

Differenzlinien beeinflussen unser Handeln.

 

Wir nehmen Hautfarben, Schlanksein und Dicksein oder körperliche Behinderungen wahr. Es ist wichtig dies nicht einfach zu leugnen, sondern bewusst mit der eigenen Wahrnehmung umzugehen. Welche Gefühle werden bei mir ausgelöst? Hätte ich eine Person ohne Behinderung in derselben Situation eher als Expert:in anerkannt? Bin ich überrascht, dass eine Frau mit Hijab sich als feministisch bezeichnet? Behauptungen meist weißer Menschen wie: „Für mich sind alle Menschen gleich. Ich sehe keine Hautfarben“ sind nicht förderlich, um für sich für mehr Diversität einzusetzen, denn es werden so z.B. rassistische Erfahrungen Schwarzer Menschen und PoC aberkannt.

Oft nehmen wir Differenzen als gegeben war.

 

Dabei sind gesellschaftliche Kategorien wie Menschen mit Behinderung oder Migrant:innen nicht einfach gegeben. Sie sind historisch gewachsene Einteilungen, die oft mit bestimmten Rechten und Zugängen in unserer Gesellschaft verbunden sind. An einen Pass oder Aufenthaltstitel ist beispielsweise geknüpft, ob eine Person arbeiten gehen oder studieren darf. Unterscheidungen (sichtbare und unsichtbare Differenzlinien) haben meist auch eine Funktion in unserer Gesellschaft. Unterscheidungen werden also zu Unterschieden gemacht. Beim Thema Behinderung ist daher auch immer die Frage: Sind Menschen behindert oder werden sie behindert durch eine Gesellschaft, die nach angeblich normalen Fähigkeiten aufgebaut ist? (s. Ableismus.)

Menschen machen ambivalente Erfahrungen mit Un/Sichtbarkeit.

 

Marginalisierte Menschen sichtbar zu machen, ist eine wichtige, aber auch mit Vorsicht einzusetzende Diversitätsstrategie. Einerseits sind marginalisierte Menschen übermäßig sichtbar und werden oft von anderen angestarrt (Hypervisibilität). Sie gelten oft als Vertreter:innen einer ganzen Gruppe (s. Repräsentation/Tokenism). Andererseits kommt ihre Expertise und Lebensrealität in den Medien und an der Redaktionstischen kaum vor (Unsichtbarkeit). Die Wirkung von Sichtbarkeit hängt vom jeweiligen Kontext ab. Wichtig ist es, darüber nachzudenken und eine bewusste Entscheidung zu treffen.

Durch Blicke wird ein "Wir" und
"die Anderen" erzeugt.

Durch Blicke werden Unterschiede zwischen normal und nicht normal gezogen. Während weiße Männer eine trans* Frau mit ihren Blicken fixieren, bleibt ihre eigene Geschlechtsidentität unsichtbar. Indem die trans* Frau als nicht-normal angestarrt und markiert wird, versichern sie sich: „Aber wir sind normale Männer!“

Stereotype sperren Menschen in Bilder

Fokus: Frauen*bilder

Misogynie bedeutet Frauenfeindlichkeit. Misogynie beschreibt auch die strukturelle Entwertung und Benachteiligung von Weiblichkeit. Diese äußert sich besonders als Benachteiligung von Frauen und all jenen, die als weiblich wahrgenommen werden. Misogynie betrifft also Personen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten.

Photo by Daniela Buchholz | Danielabuchholz.de on Gesellschaftbilder.de
Photo by Jakayla Toney on Unsplash

Frauen als Anhängsel von Männern?

Filme, Serien und Werbung tragen unter anderem mit frauenfeindlichen Darstellungen zur Normalisierung und Verfestigung sexistischer Stereotype bei. Sie beeinflussen wie Frauen gesehen werden und welchen Stellenwert Weiblichkeit in der Gesellschaft hat. Durch einen männlichen Blick ist dies oft eine sexualisierte, passive und einseitige Darstellung. Frauen werden meistens nicht als vielschichtige Charaktere gezeigt, sondern nur eindimensional und stereotyp, z.B. als Anhängsel eines Mannes ohne komplexe Charakterzüge. Frauen werden im Gegensatz zu Männern häufig nicht in verschiedenen Lebensrealitäten mit vielschichtigen Gefühlswelten gezeigt.

Normierte Frauenkörper

In der Medien- und Filmindustrie sind meist Männer in Machtpositionen. Sie entscheiden, welche Geschichten erzählt werden und welche Frauen wir anschauen. Vor allem das Frauenbild: weiß, nicht-behindert, blond, schlank etc. ist in den Medien immer noch omnipräsent. Dieser visuelle Normkörper aus den Medien bildet nicht die reale Gesellschaft ab. Dies beeinflusst sowohl wie wir uns selber sehen, als auch wie wir andere Menschen sehen. Wir  werten uns selbst oder andere deshalb unbewusst ab (oder auf). Doch: Wir sind vielleicht klein, dick, alt, wir haben ein asymmetrisches Gesicht, haben graue Haare, dünne Haare, Afrohaare und/oder ein Cochlea Implantat. Das ist normal. Wir sind unterschiedlich und sehen unterschiedlich aus. Diese Realität in den Medien zu repräsentieren und vielfältige sichtbare Differenzen abzubilden ist ein Weg, um unsere Normalvorstellungen von Körpern langfristig zu dekonstruieren. Zugleich bedarf dies (v.a. im Film) komplexen Charakteren und Geschichten.

Zeigt uns alle!

Abbildungen jenseits der gängigen Norm führen zu mehr Selbstbewusstsein und Anerkennung jener Leute, die sich in Medien häufig nicht abgebildet sehen. Mehr Repräsentation von Frauen (also: jede, die sich als solche identifizieren, arme Frauen, Frauen of Color, Frauen mit Behinderung etc.) zu schaffen, ist damit eine konkrete Handlungsoption. Zugleich sollen diese Darstellungen respektvoll und komplex sein. 

Quelle: Nhi Le, jetzt, 2020

Das Recht zu Schauen ist häufig Ausdruck von Macht und Privilegien.​

So mussten z.B. Versklavte stets auf den Boden schauen, wenn sie ihrem:ihrer „Herr:in“ begegneten. Dieser zu Boden gerichtete Blick der Versklavten ist auch in Fotografien festgehalten, ihr Blick in die Kamera ist den folgenden Generationen kaum bekannt. Die Fotografien wurden meist von weißen Personen gemacht, die bestimmten, wie versklavte Menschen repräsentiert wurden und welche Informationen in die Geschichtsschreibung eingehen.

Blicke, Anschauen und Zurückschauen

Photo by Eyitayo Adekoya on Unsplash

Die Erfahrung sichtbar zu sein und von Anderen angesehen zu werden ist einer der zentralen Aspekte, auf denen Ausgrenzung im Alltag gelebt und erlebt wird. Nie war das Recht zu schauen auf alle Mitglieder einer Gesellschaft gleich verteilt. Es ist meist Ausdruck von weißen und männlichen Privilegien: Während die einen schauen und dabei selbst unsichtbar bleiben, werden andere als Objekte des Blicks fixiert und objektiviert. Die gesellschaftliche Norm bleibt unsichtbar, markiert aber fortwährend diejenigen, die von ihr abweichen. So wird oft z.B. bei Schwarzen Menschen selbstverständlich betont, dass sie Schwarz sind, während weiße Menschen einfach als Menschen gelesen werden. Das spiegelt sich nicht zuletzt in Storyboards und Filmskripten, wenn Personen beschrieben werden. Gleiches gilt auch für Frauen: Männerfußball ist Fußball. Wenn Frauen dasselbe tun ist es Frauenfußball.

Auch Blicke sind vielfältig. Das alltägliche Angeschaut werden kann von den betroffenen Personen als störend und unangenehm empfunden werden. Gleichzeitig können Blicke aber auch Interesse vermitteln und möglicherweise Begegnungen und Austausch befördern.

Die Norm bleibt meist unsichtbar.​

So erscheint z.B. der weiße Blick durch die Kamera als neutral. Er erscheint nicht als eine Perspektive unter vielen, sondern setzt sich als Normalität durch. Es ist daher schwierig ihn überhaupt zu diskutieren. 

Doch: Abbildungen transportieren immer einen subjektiven Blick auf das Berichtete. Weiße Personen werden nicht als weiß gesehen, sondern als Menschen. Schwarze Personen hingegen als schwarz.

Medientechnik
ist nicht neutral

Die mediale Technik, die wir selbstverständlich für unsere Medienproduktionen einsetzten wurde von Menschen erfunden. Sie orientiert sich daher an geschichtlich gefestigten Normalvorstellungen von Körpern und ist genau dafür ausgelegt. Dies zeigt sich z.B. beim Einstellen des Weißabgleichs von Foto-und Filmkameras, beim Make-up und dem Set-Licht beim Film. Technik und insbesondere Medientechnik ist nicht neutral, sondern von den Menschen beeinflusst, die sie herstellen und nutzen. Möchtest du Medien diversitätsbewusst gestalten solltest du also auch die Medientechnik und die gängigen Techniken, die du nutzt, auf Diversitätsaspekte überprüfen.

Fotografie

Der Weißabgleich für Fotokameras wurde lange Zeit an den sogenannten „Shirley Cards“ eingestellt. Auf den Shirley Cards war eine weiße Frau zu sehen. Ihre ideale Belichtung wurde so zur Norm für alle. Schwarze Menschen waren also per se unterbelichtet. In den 60er Jahren wurden vor allem Filme von Kodak verwendet, die keine differenzierten dunklen Töne darstellen konnten. Gerade Gruppenfotos mit Schwarzen und weißen Menschen erhielten kaum Zeichnung in den dunklen Tönen der Haut von Schwarzen Menschen.

Heute lässt sich dieser technische Fehler aufgrund einer exklusiv weißen Norm noch deutlich bei Passfotoautomaten sehen. Auch diese können dunkle Tonwerte nicht adäquat wiedergeben. Der Weißabgleich scheint noch heute dort falsch justiert. Und: Auch Polaroid hatte seine Kameras an der weißen Norm ausgerichtet. In dem Apartheid-Regime in Südafrika wurde daher ein extra Boost-Blitz eingesetzt, um Schwarze Menschen gut erkennbar fotografieren zu können. Diese Fotos wurden von dem Regime für Pässe benutzt, um die Schwarze Bevölkerung rassistisch abzuwerten und zu kontrollieren. 

Lies hier oder unter Rassismus Bild und Ton mehr dazu.

 

Film

 

Auch im Film z.B. beim Einsatz von Setlicht und Make-up gilt Weißsein als Norm. Berry Jenkins, Regisseur von „Moonlight“ puderte nicht – wie im Film üblich – die Gesichter ab. Er ließ die Gesichter der Schwarzen Schauspieler:innen einölen. Dadurch erhöhte sich die Reflexivität. Die Mimik der Schauspieler:innen war so deutlich erkennbar.

 

Photo by Museum Victoria on Unsplash

künstliche Intelligenz

 

Bei der Gesichtserkennung von Digitalkameras, Computerkameras oder der Google Bildersuche lässt sich die Auslegung auf eine weiße Norm feststellen. Gesichter Schwarzer Menschen werden oft nicht erkannt oder falsch gelabelt. So geriet die Google-Bildersuche in Kritik, als über Twitter bekannt wurde, dass die künstliche Intelligenz Fotos von einer Schwarzen Frau mit dem Label „Gorillas“ versah. Vor allem bei der Entwicklung und dem Einsatz künstlicher Intelligenz beim Autofahren ist dies nicht nur entwürdigend und diskriminierend, sondern auch extrem gefährlich, da Schwarze Menschen nicht als Fahrer:innen erkannt werden. Link

 

Bildersuche

 

Wie auch das Labeling, ist generell die Versprachlichung und Verschlagwortung und damit die sprachliche Kategorisierung ein ProblemSuchen wir in Bilddatenbanken nach passenden Fotos für einen Artikel, fällt auf, dass auch die Algorithmen problematisch und diskriminierend sind. Vor allem lassen sich unter Wörtern wie „Gespräch“ kaum Fotos von Menschen mit Behinderung finden. Die Website Gesellschaftsbilder.de versucht dem entgegenzuwirken und hat eine Bilddatenbank entwickelt, die v.a. Bilder von Menschen mit Behinderung divers sichtbar macht.

 

Gaming

 

Auch beim Gaming gilt Weißsein als Schönheitsideal und setzte sich als Standardwert durch. Die Entwickler:innen gehen von weißen Avataren als Normalfall aus. Im Gaming gibt es bei Schwarzen und Charakteren of Color fehlerhafte Effekte und schlechte Sichtbarkeit in dunklen und schattigen Räumen. Auch das Make-up beim Justieren der Charaktere ist nicht für BIPoC ausgelegt. In der Frisurenpalette finden sich meist keine natürlichen Frisuren wie Afros oder Dreadlocks. Häufig fällt dies in Qualitätskontrollen nicht auf, da die Gruppe von Spieletester:innen auch oft nicht divers ist.

Link

 

Gewohnte Ästhetik
hinterfragen

Durch Gestaltung kann Wissen vermittelbar gemacht werden. Doch wie gestaltet wird und an welchen ästhetischen Maßstäben sich dies orientiert, sollten wir hinterfragen. Wir meinen als Medienschaffende eine bestimmte Ästhetik als seriös, wissenschaftlich und objektiv einschätzen zu können. Damit sehen wir ungewohnte Gestaltungen, die nicht dieser gewohnten Ästhetik entsprechen, oft unbewusst als das Gegenteil an: als nicht professionell

Photo by Vincent Tantardini on Unsplash

Durch eine eurozentrisch geprägte Wahrnehmung meinen wir durch eine bestimmte Ästhetik unterscheiden zu können: „Das ist seriös und das nicht.“ Als Fotografiestudent:in emfindest du vielleicht Mittelformatbilder mit zentriertem Ganzkörperporträt als ein seriöses Foto. Dazu erscheint häufig ein Foto eines Sujets (Objekt) und eine Landschaftsaufnahme und die Reportage scheint damit gelungen, vertrauenswert und seriös. Findest du ein Handy-Selfie ebenso seriös? Frage dich: Wer hat Zugang zu dieser Technik und zu dem Know-How? Welche Perspektiven werden dadurch unsichtbar und unseriös gemacht, weil die entsprechenden Bildungszugänge nicht für alle gelten?

 

 

In Ausstellungen, bei der Hängung von Bildern oder Texttafeln, wird sich meist an 1,60 m orientiert. Dies sei die Augenhöhe. Doch es ist vor allem die Augenhöhe eines „durchschnittlichen“ Mannes. Für viele Menschen ist dies nicht die Augenhöhe: Leute im Rollstuhl, Kinder und alte Menschen haben vielleicht eine (deutlich) niedrigere Augenhöhe. 

 

In Ausstellungen gelten weitere unausgesprochene und für normal angenommene Ästhetiken. Häufig finden diese in einem white cube statt, also einem rein weißen Ausstellungsraum. Auch dies ist eine gewohnte Ästhetik, um einen seriösen und unvoreingenommenen Kontext zu vermitteln. Insbesondere bei dokumentarischen Ausstellungen, z.B. über Genozide und Gewalt, ist die Ästhetik besonders steril und unemotional. Allerdings geht es gerade hier, um Emotionen, den Tod, Ungerechtigkeit und Brutalität. Die Ästhetik erlaubt diese Emotionen nichtWir halten diese Ausstellungen durch die Sterilität für wissenschaftlich und objektiv. Es lässt uns an eine Objektivität glauben und vergessen, dass die Gestaltung von Personen, also subjektiv, entschieden wurde.

 

Fiktion, Zukunft und Empowerment

Photo by Martin Sanchez on Unsplash

Dadurch, dass wir permanent von einer visuellen Normalität von Körperbildern, Blicken, Techniken und Ästhetiken umgeben sind und geprägt wurde, ist unsere Vorstellungskraft limitiert

 

Stelle dir die Schlittschuhlaufbahn in Abijan (Côte d’Ivoire) vor. Vielleicht fällt es dir schwer, dieses Bild in deiner Vorstellung zusammen zu setzten. Und ja: Es gibt auch ein Nigerianisches Bobteam. Es wird meist nur eine visuelle Erzählung Afrikas gezeigt, dies beschränkt unter anderem unsere Imagination und unsere Sicht auf die Zukunft.

Wie stellst du dir die Zukunft vor? Und wie divers ist diese in deiner Vorstellung? 

Auch die Zukunft im Film ist heute immer noch auffällig weiß, männlich, nicht-behindert und nicht-arm. Bereits 1974 etablierte Sun Ra und sein Arkestra mit dem Musikfilm Space is the Place“ Future Fiction mit Schwarzen Charakteren. Er zeigt Schwarze, die in den Weltraum auswandern und dort einen Ort ohne Rassismus und Gewalt finden. Der Afrofuturismus wurde durch den Kinofilm „Black Panther“ (Regie: Ryan Coogler) 2018 wieder aufgelebt. Auch der Film Futur Drei (Regie: Faraz Shariat) trägt bereits den Verweis auf eine mögliche andere Zukunft der drei Hauptfiguren, zwei geflüchtete Jugendliche und ein deutscher Jugendlicher of Color, in sich.

 

Wir können uns eine diverse Zukunft nur vorstellen, wenn wir sie auch sehen können. Ein Plädoyer für Medienschaffende sich der Zukunft zu widmen!

Repräsentation, Irritation und Fiktion könnten mögliche Strategien sein, visuelle Narrative der eigenen Geschichten zu finden. Ein Beispiel zur Irritation von Kia Henda.

Kiluanji Kia Henda fordert besonders mit dem Porträt Poderosa de Bom Jesus von 2006 unseren Blick heraus. Das Foto wird in dem Video kurz vorgestellt. Das Porträt scheint auf den ersten Blick eine dokumentarische Fotografie zu sein. Scheinbar trägt eine Frau ein traditionelles angolanisches Kleid. Wenn wir genauer hinsehen realisieren wir, dass die Person (Poderosa) vielleicht ein Mann ist. Neben der traditionellen Frisur und dem Schmuck trägt Poderosa moderne Highheels. Das Foto eröffnet einen erweiterten Blick auf die eingeschriebenen Narrative über Angola – sowohl lokal, als auch global. Kia Henda fordert die erstarrten Vorstellungen von und über angolanische kulturelle Identität heraus. Er läd die Betrachter:innen ein eine diversere Sicht zuzulassen. Die Irritation und das Spiel mit dem Blick der Betrachter:innen setzt der 1979 geborene Konzeptuelle Künstler bewusst ein. Kia Henda ist Autodidakt, er ist durch seine Konzeptuelle Kunst international bekannt geworden und hat bereits mehrmals auf Biennalen ausgestellt.

Ich will es besser machen!
Aber wie?

Hier folgen nun einige konkrete Handlungsstrategien, die du als Medienschaffende:r anwenden kannst, um Hierarchien im Bild und dem Entstehungsprozess aktiv abzubauen. Lies sie dir durch oder springe über den Button direkt zu den Kurztipps.

Intention, Augenhöhe und Respekt

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CC-Lizenz: BY-ND

Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung; Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung

Videoaufnahme: November 2018

Mein Herz sagt mir, man macht das nicht. Ich halte meine Kamera nicht auf einen schlafenden Obdachlosen“, sagt Tanja Abou, Social-Justice-Trainerin und Sozialarbeiterin. Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Antidiskriminierung. Die Interviewten betonen: Eine Liste mit Bildern oder Regeln aufzustellen, was Medienschaffende nicht tun sollten, geht einfach nicht. Da müsse tiefer angesetzt werden. Tanja Abou erklärt für sie seien Intention, Augenhöhe und Respekt die Grundregeln. Frage dich: „Wäre ich in dieser Situation, würde ich so dargestellt werden wollen?“ Und: „Mit welcher Arroganz und eigenem Wertemaßstab trete ich an eine Person heran, die meiner Lebenswelt nicht entspricht?“ „Mit wie viel Respekt und Augenhöhe kann ich begegnen?“, fragt sie und plädiert dafür, sich dies ehrlich zu beantworten

Bewusste visuelle Entscheidungen

Heiko Kunert sitzt vor seinem Laptop, der mit Hilfstechnologien für blinde und sehbehinderte Menschen ausgestattet ist. Mit Hilfe einer Screenreader-Software, die den Bildschirminhalt so wandelt, dass er von einer künstlichen Sprachausgabe und auch auf einer Braillezeile ausgegeben werden kann, bekommen er und andere Menschen mit Sehbeeinträchtigung nicht nur den Zugang zum PC sondern auch zum Smartphone. Eine Braillezeile ist ein schmales Gerät, das unterhalb der Tastatur liegt und auf dem zeilenweise Text in Blindenschrift erscheint.
Photo by Michel Arriens | www.michelarriens.de on gesellschaftsbilder.de

Alle Entscheidungen der visuellen Gestaltung beinhalten auch Aussagen über Machtstrukturen. Um diversitätsbewusste visuelle Medien zu schaffen, sollten wir die dafür notwendigen Entscheidungen bewusst treffen. Wichtig zu verstehen: Der Akt des Fotografierens und des Filmens beinhaltet bereits unsichtbare Hierarchien. Die Abgebildeten werden zum Objekt, während der Abbildende (Fotograf:in/ Videograf:in) Subjekt ist und aktiv handelt. Diese Machtbeziehung verstärkt ggf. gesellschaftliche Hierarchien.

Aber auch vor, während und nach dem Fotografieren und Filmen, gibt es viele Komponenten zu beachten. Du als Fotografierende:r/ Filmende:r triffst technische und ästhetische Entscheidungen. Du entscheidest über Vordergrund – Hintergrund, Schärfe – Unschärfe, Bildausschnitt, Blickachsen etc. Diese bildimmantenten (im Bild enthaltenen) Hierarchien, kannst du bewusst einsetzen und dekonstruieren. Frage dich: Verstärken meine Entscheidungen gesellschaftlich bestehende Machtbeziehungen oder wirken sie ihnen entgegen? Dies betrifft auch die Postproduktion. Das Fotografieren und Filmen ist nicht nur ein technischer Vorgang, sondern auch eine soziale Verhandlung, die stark mit Macht und Ohnmacht verbunden ist. Du hast die Macht das visuelle Material zu veröffentlichen und in einen Kontext zu setzen und die Macht über das visuelle Narrativ, die Bildauswahl oder die Nacherzählung. Auch hier solltest du deine Entscheidungen auf Diversitätsaspekte überprüfen und dich in Transparenz üben. Und welche Zugänge schaffst du: Ist unser Bild ausschließlich visuell erfahrbar oder auch sprachlich?

Mehr

Unter Sexismus Bild und Ton findest du eine Bildanalyse

Gesellschaftsbilder ist eine Bilddatenbank, mit diversen Abbildungen von Menschen mit und ohne Behinderungen

  • In dieser Folge des Podcasts „Die neue Norm“ sprechen Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raúl Krauthausen über Blicke von Kindern auf Menschen mit Behinderung und der Umgang der Eltern damit.

Kurztipps

Treffe bewusste visuelle Entscheidungen

Hier findest du eine exemplarische Liste mit Faktoren, die bei der visuellen Gestaltung deiner Fotos/ Videos beachten kannst. Frage dich vorab: Mit welcher Intention mache ich diese Arbeit? Und: Kann ich den Abgebildenden mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen?

  • Wen bildest du ab? Wie sind die aktiv handelnden Personen gesellschaftlich positioniert? Steht die Person der „Körpernorm“ (weiß, glatte Haare, schlank, nicht-behindert) nahe? Wer ist nicht zu sehen?

  • Kenne Stereotypisiernde Darstellungen und vermeide sie.

Hast du die Einverständniserklärung der Abgebildeten eingeholt? Bei Fotos von Kindern muss die Einverständnis der Eltern oder Vertretungsberechtigen eingeholt werden. Sind die Fotografierten/ Gefilmten über ihre Rechte und den Verwendungszweck informiert worden? Haben sie der geplanten Veröffentlichung zugestimmt? Halte dich an deine Vorgaben. Hatten die Abgebildeten die Option zur Ablehnung? Und: Auch Fotos, auf denen keine Personen abgebildet sind, können die Privatsphäre verletzten (z.B. bei Wohnraum).

Wer ist wo im Bild positioniert? Bei Gruppenabbildungen: Wer steht im Vordergrund und wer im Hintergrund? Wer steht am Rand und wer in der Mitte? Du entscheidest damit auch: Wer ist „am Wichtigsten?“ Verstärkt oder mindert dies gesellschaftliche Hierarchien?

Wo liegt der Schärfebereich? Wo liegt die Unschärfe? Also: Wer ist im Fokus der Betrachtenden? Warum ist diese Person in diesem Moment besonders relevant? Verstärkt oder mindert dies gesellschaftliche Hierarchien?

Wer ist aktiv und wer ist passiv? Redeanteile: Wer erklärt wem etwas? Wer redet wie viel? Körperhaltung: Wer steht und wer sitzt? Verstärkt oder verringert dies stereotypisierende Rollen? Vermeide insbesondere koloniale Bildtraditionen (z.B. Weiße stehen, Schwarze sitzen oder Schwarze stehen hinter sitzenden Weißen). Zeige Menschen als handelnde Subjekte nicht als passive Objekte oder Opfer.

    Wie schaut die Kamera? Und was sagt das aus? Schaut der*die Abgebildete direkt in die Kamera (Countergaze) oder z.B. auf den Boden?

    Wenn du die Blickrichtungen der abgebildeten Personen planst, mache dir bewusst, dass hier Machtverhältnisse reproduziert werden können. Es gibt historische Zusammenhänge in Bezug auf Blickregime und Ausbeutung marginalisierter Menschen. Informiere dich, denn deine Arbeit ist ein Teil davon.

    Aus welchen Blickwinkel werden die Abgebildeten angeschaut? Was sagt dies über gesellschaftliche Hierarchien aus?

    Wie wird der Blick der Betrachtenden durch das Bild geleitet? Wer wird zuerst gesehen und ist damit „wichtiger“?

  • Aus welcher Perspektive nimmst du das Bild/ das Video auf? „Normalperpektive“, Untersicht (Froschperspektive) oder Aufsicht (Vogelperspektive). Unterstreicht dies gesellschaftlich geprägte Machthierarchien?

  • Wer wird in welchem Ausschnitt gezeigt? Was ist dadurch zu sehen und was nicht? Ein Beispiel: Zeige ich eine Person mit Rollstuhl auch mit ihrem Rollstuhl?Ist die Information im Rollstuhl zu sitzen visuell relevant? Eignet sich hier auch ein Close-up Porträt, das nur den Kopf und Schulterbereich zeigt? Welchen Kontext spreche ich der abgebildeten Person zu? 

Wie nahe gehst du an eine Situation heran (z.B. bei einer Reportage oder Dokumentation). Nutzt du ein Zoomobjektiv und genießt deine „Unsichtbarkeit“ und die der Kamera? Oder konfrontierst du dich mit der Situation und bist bereit auch auf Ablehnung zu stoßen? Benutze z.B. eine Festbrennweite, um dies tun zu müssen.

Wo zeigst du die Person? Inwiefern ist der Ort geschichtlich aufgeladen? Welchen Hintergrund wählst du? Zeigst du eine Person in einer alltagsnahen Situation (im Auto, beim Bäcker)? Oder wirkt der Ort für manche Betrachtenden fremd? Verstärkt oder verringert dies stereotypisierende Darstellungen?

Gehe sensibel mit Nacktheit um, sowohl bei Erwachsenen und insbesondere bei Kindern.

Ästhetisiere Armut nicht (z.B. Sonnenuntergang über einer Mülldeponie oder verändere den Ausschnitt nicht so, dass moderne T-Shirt Schriftzüge nicht mehr im Bild zu sehen sind)

In welchem Kontext zeigst du deine Arbeit? Kannst du das Gesamtkonzept in dem dein Beitrag erscheint vertreten? Wie positionierst du dich dazu?

Schreibe deine Bildunterschriften sorgsam und in Rücksprache. Beachte ggf. eine Anonymisierung der Abgebildeten oder die Verwendung eines Synonyms. Und frage nach, mit welchem Pronomen die Abgebildeten sich identifizieren.

Was entscheidest du im Videoschnitt zu kürzen? Warum veränderst du den Bildausschnitt? Was ist nun nicht mehr zu hören/zu sehen und ist nun der Originalkontext verfälscht? Was bedeutet das?

Machst du Farbanpassungen (z.B. durch Filter)? Was macht dies mit den Hauttönen der Personen? Sind die Abgebildeten damit einverstanden? Frage dich: Warum machst du das und was sind die Folgen? Nimmst du eine Umwandlung in schwarz-weiß vor? Warum? Welche Stimmung vermittelt dies?

Welches Bild entschiedest du zu zeigen? Wieso entschiedest du dich für ein Bild/ eine Version? 

Alternativtexte sind wichtig, so können Menschen, die eine Sehbehinderung oder Sehbeeinträchtigung haben, und daher das Bild bedingt oder gar nicht sehen können, den den Inhalt erfassen. Auch Untertitel und Audiodeskriptionen (akustische Bildbeschreibung) ermöglichen Menschen mit Behinderungen die Abbildungen zu erfahren.

Außerdem beruhen Algorithmen von Bilddatenbanken häufig auf den Bildbeschreibungen. Alternativtexte haben also insgesamt einen positiven Effekt, um Sichtbarkeit zu schaffen.

Durch die Situation eine Aufnahme zu machen, gibt es immer eine Hierarchie zwischen Fotograf:in und der abgebildeten Person. Die Fotograf:in trägt die Entscheidungsmacht über das Bild, während die abgebildete Person zu einem Bildobjekt gemacht wird. Dies kann in der Fotografie und im Film nur bedingt umgangen werden. Wenn du mit einer Digitalkamera fotografierst oder filmst kannst du den Abgebildeten Zwischenergebnisse zeigen und ihre Meinung einholen und sie so mitbestimmen lassen.