Geschichtenbasiertes Lernen kann ganz vielfältig eingesetzt werden, z.B. in Kombination mit einem Spiel oder Abenteuer welches die Lernenden zu lösen haben, oder in Form von Theaterstücken oder Comicgeschichten. Genauso können wahre Begebenheiten (z.B: wissenschaftliche Entdeckungen) als Grundlage für ein geschichtenbasiertes Lernen dienen.

Die vorgestellten Beispiele unterscheiden sich darin, inwieweit die Studierenden aktiv bei der Entwicklung/Nutzung der Geschichte eingebunden werden. Die Lernenden können z.B. selbst eine Geschichte zu einem Thema entwickeln, eine vorgegebene Geschichte weiter bearbeiten oder durchspielen oder “nur” konsumieren.

Die Beispiele stammen zudem aus der Welt der digitalen Lehre oder lassen sich hervorragend in ein digitales oder Blended Lernkonzept integrieren:

“The Strange Case of Dr. Davis” – ein interaktives Audio Adventure

Ein Bild aus The Strange Case of Dr. Davis, https://www.hoou.de/projects/the-strange-case-of-dr-davis/preview, CC BY-SA

“The Strange Case of Dr. Davis”– ein HOOU Lernangebot – ist ein interaktives Audio Adventure für Englischlernende zur Förderung des Hörverstehens. Bei dem Spiel handelt es sich um ein „Audio Escape Room“, welches von Schulklassen und eigenständig Lernenden zur Förderung der Hörverstehenskompetenz genutzt werden kann. Die Spieler:innen erwachen in einem verlassenen Laborraum, sie können sich an nichts erinnern. Nach und nach entdecken sie mit Hilfe verschiedener Audio-Artefakte (u.a. KI-Interface, Audio- Aufzeichnungen) mehr und mehr Hinweise über einen schrecklichen Vorgang, an dem sie nicht ganz unbeteiligt waren… Während die Spieler:innen die Geschichte entschlüsseln, arbeiten sie sich von Raum zu Raum, um aus dem Laborkomplex zu entkommen.

Textquelle: The Strange Case of Dr. Davis, https://www.hoou.de/projects/the-strange-case-of-dr-davis/preview, CC BY-SA

Das HOOU-Lernangebot “How to change a running system”

Das aufwendig gestaltete Lernangebot zum Thema Energiewende besteht aus fünf Scrollytellingstories. Das sind je einseitige Websites (One-Pager), die auf einer Seite eine multimediale Geschichte erzählen. Dabei ergibt die Verschmelzung von Text, Bild und Video eine Einheit.
Im Fall von howtochangearunningsystem.info wird in fünf Kapiteln das Verständnis von der Klimakrise, Energieträgern, einem Systemwandel, einer Denkwende und was wir selbst eigeninitiativ machen können, vermittelt.

Der Trick beim Scrollytelling ist, dass man nur durch das Scrollen durch ein Thema geführt wird und der rote Faden sich über die komplette Seite zieht. Es gibt keine störenden Elemente wie Menüs oder Verlinkungen.

Hier ist ein Ausschnitt aus der Scrollytellingstory aus dem ersten Kapitel zu sehen.

Das Scrollytelling kommt, wie sollte es anders sein, aus dem Journalismus. Die New York Times veröffentlichte 2012 das erste mal eine Story in ebendiesem Format, was zu dieser Zeit bahnbrechend war: Snow Fall – The Avalanche at Tunnel Creek zieht die Leser:innen binnen ein paar Scrolls in ihren Bann. Durch die interaktiven Elemente bleibt die Story immer wieder überraschend und seit 2012 hat sich multimedial natürlich eine Menge getan.

Weitere Beispiele zum Digital Storytelling

Die Werkstatt der Bundeszentrale für politische Bildung hat zehn Beispiele für multimediales Storytelling zusammengestellt, die zeigen, wie vielfältig das digitale Erzählen von Geschichte(n) sein kann:

https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/werkstatt/212445/10-beispiele-fuer-multimediales-storytelling/

Statistik lebendig Lehren durch Storytelling 

In diesem Praxisbeispiel wird gezeigt, wie – u.a. mit Hilfe von Storytelling – Statistik so gelehrt werden kann, dass Studierende diese als wichtiges Werkzeug der Forschung, aber auch als Mittel zur Kommunikation zwischen den Berufsgruppen begreifen können. Um erfolgreich in dem Beruf der Statistikerin/des Statistikers zu arbeiten, ist die Fähigkeit zur Methodenanwendung, wie bspw. das Programmieren, basal. Das Kommunizieren und informierte Entscheiden für Dritte fällt jedoch (in der Lehre) meist unter den Tisch. Als praktische Beispiele dienen Lernsequenzen aus der Biostatistik und Bioinformatik. 

Die Ursprünge von Cholera: Theaterstück zur Richtigkeit von Daten

Inspiriert von Max von Pettenkofer und seinem fruchtbaren Disput mit Robert Koch wurde die Idee entwickelt, anhand dieses wissenschaftlichen Konflikts in Bezug auf die Frage, wodurch oder wie Cholera ausgelöst wird, ein Theaterstück oder aber eine Übung zu generieren. Didaktisches Ziel ist hier die Sensibilisierung bzgl. der Echtheit/Richtigkeit von Daten. Das Theaterstück wird entweder vorgegeben oder von den Studierenden anhand von einigen Eckdaten und Rahmenbedingungen entwickelt und mehrfach durchgespielt.

Im Folgenden wird exemplarisch ein fiktives Drehbuch des “Cholera-Disputs” gezeigt:

1. Auftritt von Robert Koch und Darstellung seiner Position 
2. Auftritt von Max von Pettenkofer und Darstellung seiner Position 
3. Argumente von Robert Koch und Wiederholung seiner Verdienste an der Wissenschaft 
4. Argumente von Max von Pettenkofer und seiner Idee des Positivismus sowie seiner experimentellen Erfolge. Optional: Die Atmende Wand und weiterer Unterplot. 
5. Auftritt von Feynman und Darstellung der Cargo Cult Science sowie eventueller Pa-rallelen zur (aktuellen) Forschung 
6. Studierende/r aus dem Plenum stellt die Erkenntnisse von Koch und von Petten-kofer gegenüber: Koch behauptet, Cholera werde durch ein Bakterium ausgelöst, laut von Pettenkofer jedoch durch schlechte Hygiene. Versuch der Vermittlung, dass diese beiden Sachen eventuell zusammenhängen. 
7. Widerworte von Koch und von Pettenkofer zu den Thesen der/des Studierenden 
8. Von Pettenkofer testet die Cholera an sich selbst und krümmt sich vor Schmerzen. Beweis, dass es nicht Cholera ist, welche Menschen tötet. 
9. Robert Koch widerspricht. Von Pettenkofer ruft drei Studierende, die ebenfalls Cho-lera trinken. Wieder stirbt niemand. 
10.  Studierende/r aus dem Plenum trägt ein Resümee vor 
Beispielhaftes Drehbuch der Cholera-Konferenz 1867 in Weimar . Quelle: Kruppa, J. & Kiehne, B. (2019). Statistik lebendig lehren durch Storytelling und forschungsbasiertes Lernen. die hochschullehre, 5, 501–524. https://www.wbv.de/download/shop/download/0/_/0/0/listview/file/-direct%40HSL1922W/area/die-hochschullehre.html?cHash=3afa8c5ae2045bb69c05c015b45a89fb, CC-BY NC ND

Die Wirkung von Vitamin C: Überlebenszeitanalyse anhand einer wahren Begebenheit  

James Lind war ein Pionier der Bordhygiene und entdeckte die Therapie von Skorbut durch Zitronensaft. Lind führte erste experimentelle Versuche durch, um die Ursache von Skorbut zu entdecken. Er teilte zwölf an Skorbut erkrankte Matrosen in sechs Gruppen ein und behandelte jede dieser Gruppen anders, z. B. mit Schwefelsäure, Essig oder Apfelsinen und Zitronen. An diesem Beispiel kann man sehr schön die Gruppeneinteilung, Fallzahl sowie Konzepte wie doppelblind und Randomisierung in einer klinischen Studie darstellen und erarbeiten. Ethische Fragen lassen sich an dem konstruierten Beispiel erörtern, dass James Cook sofort, nachdem er von den Ergebnissen von Linds Versuch erfahren hatte, mit seinen Schiffen aufbrach, ohne den Studienabschluss abzuwarten, und allen Matrosen Zitronen gab. Hier lassen sich die Regularien und Beschränkungen einer klinischen Studie, wie Interimsanalyse oder Studienabbruch, diskutieren. Die Studierenden sollen die sich ergebende Überlebenszeitanalyse graphisch darstellen und die Limitierungen der Studie erarbeiten.

Quelle der Texte und der Tabelle: Kruppa, J. & Kiehne, B. (2019). Statistik lebendig lehren durch Storytelling und forschungsbasiertes Lernen. die hochschullehre, 5, 501–524. Online unter https://www.wbv.de/download/shop/download/0/_/0/0/listview/file/-direct%40HSL1922W/area/die-hochschullehre.html?cHash=3afa8c5ae2045bb69c05c015b45a89fb, CC-BY NC ND

Geschichtenbasiertes Lernen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf Basis eines Comics

In dem hybriden Ansatz “Geschichtenbasiertes Lernen zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit auf Basis eines Comics” setzen sich die Teilnehmenden mit den Themen Diversität, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Akzeptanz auseinander. Neben der fachlichen Dimension werden zahlreiche überfachliche Kompetenzen geschult.

Die Studierenden erhalten in einer Präsenzsitzung eine Einführung und ein Kurzcomic als Einstieg in die Thematik: In dem Comic „Dieter“ (s.u.) wird die Geschichte eines homosexuellen Lehrers in seinem Schulumfeld gezeigt. Anschließend arbeiten die Studierenden in Kleingruppen, übernehmen eine bestimmte Rolle aus dem Umfeld des Lehrers und bearbeiten auf Basis von Fachliteratur verschiedene Fragen und Aufgaben zur jeweiligen Rolle. Danach diskutieren die Studierenden innerhalb der Kleingruppen ihr Wissen und einigen sich auf eine Position. Diese wird den übrigen Teilnehmenden digital präsentiert. Anschließend erhalten die Kleingruppen die Aufgabe, die Ge- schichte des Lehrers aus der Perspektive ihrer Rolle weiter/zu Ende zu er- zählen und diese Erzählung in einer möglichst kreativen und anschaulichen Form als Präsentation vorzubereiten.

Geschichtenbasiertes Lernen mit Comics, Copyright Martina Schradi, Quelle: https://www.achsoistdas.com/projects/dieter-29/

Das HOOU-Lernangebot „Studieren mit psychischen Erkrankungen“

Die OER Studieren mit einer psychischen Erkrankung: (wie) geht das? soll dafür sensibilisieren, wie Studieren mit einer psychischen Einschränkung gelingen kann. Neben einem Informationsteil berichten Studierende von ihren persönlichen Erfahrungen und sollen so zur Ermutigung und Stärkung beitragen. Die Erfahrungsberichte sind teilweise anonymisiert als Comicgeschichten dargestellt. Hier sind also die Studierenden selbst Gegenstand der Erzählungen.

Eine Comicgeschichte aus dem HOOU-Lernangebot „Studieren mit psychischen Erkrankungen“. Konzeption HOOU@HAW, Zeichnungen: Lena Dirscherl, CC BY-SA 4.0
Zu dem Lernangebot gibt es übrigens auch einen Podcast aus der Reihe Hamburg hört ein HOOU.


Diese Inhalte sind, wenn nicht anders vermerkt, lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz.
Lizenzhinweis: Storytelling: Geschichtenbasiertes Lernen in der (digitalen) Lehre: Praxisbeispiele, Martina Schradi, Dorothée Wagner, HOOU@HAW, CC BY 4.0.



DOROTHEE WAGNER begleitet, berät und unterstützt OER-Projekte, die von der HOOU@HAW gefördert werden. Seit Herbst 2021 arbeitet sie mit an dem Aufbau eines Hochschulübergreifenden Qualitätsmanagement. Zudem kümmert sie sich um die Außenkommunikation der HOOU@HAW, schreibt Blogbeiträge und entwirft Social Media Strategien.