Recyclingbeton

Von Bauschutt zum Baustoff

Jan-Mathis Carstens

Mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens in Deutschland ist auf den Bausektor zurückzuführen. Das entsprach 2021 über 220 Millionen Tonnen Bau- und Abbruchabfälle [1]. Stand 2018 wurde ein Drittel dieser Abfälle recycelt. Die übrigen zwei Drittel wurden verfüllt oder deponiert. Von dem Drittel, das recycelt wurde, wurden lediglich 3%, also 2 Millionen Tonnen, im Hochbau wiederverwendet, der Rest im Straßen-, Wege- und Erdbau, was einem Downcycling entspricht [2]. Zusätzlich wurden 2018 485 Millionen Tonnen an natürlicher Körnung für Beton eingesetzt. Die dafür in Hamburg benötigte grobe Gesteinskörnung kommt beispielsweise aus dem Harz oder wird importiert, etwa aus Skandinavien oder Schottland. In Steinbrüchen werden dort irreversibel Landschaften abgetragen und zerstört. In der Welt des Bauens ist die Rede von Ressourcenknappheit und gleichzeitig landen heute noch wertvolle Baustoffe auf Deponien. Ein kleiner Teil der Maßnahmen gegen das hohe Abfallaufkommen und die Zerstörung von Landschaften wird von Teilen der Bauindustrie in einem neuen Baustoff gesehen: dem Recyclingbeton. Dieser ist wie konventioneller Beton ein Gemisch aus Wasser, Zement, Gesteinskörnung und Zuschlägen. Bei Recyclingbeton unterscheidet sich lediglich die Herkunft der Gesteinskörnung: Diese wird zu Teilen in Recyclinganlagen aus Bauschutt gewonnen. Anders als konventioneller Beton weist dieser Beton durch die höhere Porosität der Rezyklate einen höheren Wasserbedarf auf. Zur Verarbeitung sind, wie in der heutigen Betontechnologie üblich, Verflüssiger als Zusatzstoff notwendig. Recyclingbeton lässt sich somit genauso gut verarbeiten wie herkömmlicher Beton [3]. In Hamburg könnten heute schätzungsweise ein Drittel des gesamten Bedarfes an Beton – und über die Hälfte des Bedarfes an Beton im Wohnungsbau – durch die Verwertung von Bauabfällen für Recyclingbeton gedeckt werden [4]. Doch warum passiert das noch nicht? Ich begebe mich auf die Reise vom Bauschutt zum Baustoff: Wie wird Recyclingbeton hergestellt, welche Herausforderungen bestehen derzeit und inwiefern kann er zur Lösung der genannten Probleme beitragen?

Zuerst führt es mich zur „Musterbude“ die auf dem Gelände der Firma Otto Wulff steht, welche aus Recyclingbeton erstellt wurde. Das Gelände liegt am Rande eines Wohngebietes im Osten Hamburgs, die „Musterbude“ steht auf dem Werkhof des Unternehmens. Erbaut wurde diese im Rahmen des „CIRCuIT“ Projektes, welches aus dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon 2020“ entstanden ist. In London, Helsinki, Kopenhagen und Hamburg werden im Rahmen des Projektes kreislaufwirtschaftliche Ansätze für die gebaute Umwelt erforscht und erprobt. Ziele sind das Aufzeigen von Hürden und Chancen, die Vernetzung relevanter Akteure auf europäischer und lokaler Ebene, sowie die Ausarbeitung von Strategien, Verfahren und Handlungsempfehlungen. Dabei wird untersucht, welche Rahmenbedingungen geschafft werden müssen, um nachhaltiges und zirkuläres Bauen zu ermöglichen. Hamburg befasst sich dabei mit der Weiterentwicklung des Baustoffs Recyclingbeton [5]. Ausschlaggebend für das Projekt sind die anfangs aufgezeigten, negativen, globalen Auswirkungen des Bausektors. Nachhaltigkeit käme durch Innovation, so erzählt es uns Herr Beister von der Firma Otto Wulff in einem Vortrag über die das „CIRCuIT“ Projekt. Urban Mining solle neu strukturiert werden, der Kreislauf der Wiederverwendung gewonnener Baustoffe solle auf gleicher Ebene geschehen. Heißt, Bauschutt aus dem Hochbau solle – statt wie heute üblich für den Straßen- oder Erdbau – auch für den Hochbau wiederverwendet werden können [4]. Bei dem „CIRCuIT“ Projekt, geht es also um nichts weniger, als darum, kreislaufgerechtes Bauen neu zu denken. Unterstützt durch die Stadt Hamburg, „e-hoch-3“, die Technische Universität Hamburg sowie die Firmen Eggers und Otto Dörner, hat Otto Wulff die „Musterbude“ entwickelt [6]. Die Bauteile sind aus unterschiedlichen Recyclingbetonen hergestellt, die sich in ihrer Zusammensetzung unterscheiden. Dabei wurde unter anderem eine Gesteinskörnung konzipiert, die den Namen „Hamburger Mische“ trägt: Eine Pioniersorte, welche außerhalb aktuell gültiger Normen unter Verwendung von Brechsand aus 100 Prozent rezykliertem Material besteht. Um der Entwicklung von Recyclingbeton auf die Spur zu gehen, spreche ich mit Ulf Behr, der als Prüfstellenleiter die ständige Betonprüfstelle bei Otto Wulff über 30 Jahre lang geleitet hat, ehe er sich auf die Projektleitung im Unternehmen fokussierte. Er verstehe Recyclingbeton als eine Art Modebegriff, da herkömmlicher Beton schon seit Jahrzehnten zu weiten Teilen aus Recyclingprodukten bestände. Sei es der Hüttensand, welcher aus der Stahlindustrie recycelt wird, um Zement herzustellen, Flugasche, die bei der Verbrennung von Steinkohle entsteht und dem Beton hinzugefügt wird, Silikatstaub der bei der Herstellung von Silicium anfällt, oder die Verwendung von Restwasser. Ziel sei damals vor allem finanzielle Einsparungen gewesen. Heute kommt die Nachhaltigkeit, im Sinne der Wiederverwendung von diesen Stoffen, der Agenda hinzu. Die rezyklierte Gesteinskörnung schließt sich den Rezyklaten nun an – und verleiht dem Recyclingbeton seinen vermeintlich neuen Namen.

Abbildung 1: Musterbude bei Otto Wulff (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Als nächstes treffe ich mich mit Simon Gühlstorf auf dem Gelände von Otto Dörner, eines der Unternehmen, welches im Rahmen des „CIRCuIT“ Projektes Gesteinskörnungen für den Beton der Musterbude bereitgestellt hat. Herr Gühlstorf ist technischer Projektleiter und zuständig für Projekte rund um das Thema Recycling. Vor Ort möchte ich mir die Recyclinganlage ansehen, in der die rezyklierte Gesteinskörnung gewonnen wird. Hierfür fahre ich eine Stunde weg von Hamburg Richtung Süden. Nachdem ich die Autobahn verlassen habe, fahre ich über Landstraßen Richtung Hittfeld, einem Ort in der Gemeinde Seevetal. Schließlich biege ich auf eine breite befestigte Straße ab, deren Einfahrt plötzlich hinter der dichten Begrünung des Straßenrandes auftaucht. Umliegende Bebauung ist nicht zu erahnen, ich scheine mich inmitten der Natur zu befinden. Vorbei an unterschiedlichen Auffahrten, komme ich jedoch an einen Parkplatz, auf dem ein paar Container, aufeinandergestapelt sind, die Büros vermuten lassen. Ich bin eine viertel Stunde zu früh, also trete ich aus dem Auto, stelle mich auf eine leichte Anhebung und überblicke das Gelände. Es wirkt surreal, die Ausmaße sind schwer zu greifen, was sich mir zeigt, scheint wie eine Miniaturlandschaft: Verschiedene Ebenen mit Böschungswinkeln sind aus dem Boden herausgehoben, ich sehe zahlreiche Anhäufungen verschiedener Materialien und große Maschinen. Es ist früh morgens und es herrscht bereits reger Betrieb. Ich nehme ein Dröhnen im Hintergrund wahr. Mehrere LKWs, Transporter und Trecker fahren im Minutentakt den Weg entlang, den ich gekommen bin. Ein Schauspiel findet vor meinen Augen und Ohren statt. Ein LKW lädt gerade ab, ein lautes Geräusch ertönt. Etwas daneben fährt ein Pickup-Truck mit orange blinkendem Warnlicht. Weiter hinten erkenne ich einen Bagger, der etwas auf einen gelben Lader verlädt. Nur einen Mann im Blaumann kann ich erspähen, weit abseits der Maschinen. Es wirkt alles wie eine große Sandkiste, die gerade bespielt wird. Ich gehe schließlich zu den Büros und treffe Herrn Gühlstorf. Auf dem Weg zum Pickup, der uns zur Recyclinganlage bringen soll, fängt uns der Werkstattleiter ab. Ein Gullydeckel habe die Anlage lahmgelegt. Dies soll uns noch zu Gute kommen, wie sich später zeigen. Zuerst stehe ich nun gemeinsam mit Herrn Gühlstorf auf der Anhebung, die ich kurz zuvor bereits selbst besucht hatte. Den Recyclinghof sehen wir von hier noch nicht, dieser befinde sich hinter einer weiteren Anhöhe. Ganz hinten zu erkennen ist die Kiesgrube, in der das Gelände von Baggern und Ladern abgetragen wird. Vor uns öffnet sich die Deponie, in der verschiedene Abfälle je nach Schadstoffbelastung deponiert werden. Hier gibt es auch einen kleinen Haufen Betonbauschutt. 

Wir fahren mit dem Pickup auf den Recyclinghof und kommen an einer Einfahrtskontrolle vorbei. Hier sollen die Anliefernden Auskunft über ihr geladenes Material geben und werden gewogen. Anschließend werden sie zu den entsprechenden Stellen weitergeleitet, an denen sie ihr Material abladen können. Ist das Material größer als 60cm, werde es von einem Bagger mit einem sogenannten „Brösel-Aufsatz“ vorzerkleinert.

Abbildung 2: Bauschutt auf dem Recyclinghof (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Die Recyclinganlage besteht aus einer Brech- und einer Siebanlage. Diese ist stationär aufgebaut, obwohl mobile Aufbauten üblich sind. Es sei eine Frage der Philosophie, so Herr Gühlstorf. Zu meinem Glück ist die Anlage gerade außer Betrieb – denn ansonsten könnten wir uns vor Ort nicht unterhalten, sagt Herr Gühlstorf. Die Anlage dürfe hier dem Lärmgutachten folgend bis zu 118 dB(A) laut sein, was abhängig vom Standort sei. Ebenso gibt es ein Staubgutachten für die Anlage von Otto Dörner, welches den Betrieb reglementiert. Die Recyclinganlage von Otto Dörner befindet sich außerhalb einer geschlossenen Ortschaft, das nächste Wohnhaus liegt mehrere Hundert Meter entfernt. Beschwerden gäbe es hier keine. Dass das Vorliegen eines Gutachtens das Auftreten von Beschwerden durch Anwohnende ausschließt, ist jedoch nicht grundlegend der Fall, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. In der Gemeinde Lohe-Föhrden, in der ich groß geworden bin, plant ein Betrieb ebenfalls eine Brech- und Siebanlage aufzustellen. Dieser Betrieb befindet sich in einem Mischgebiet und somit in unmittelbarer Nähe zu Wohnhäusern. Auch hier wurde ein Lärmgutachten erstellt, welches dem Betrieb die Nutzung der Anlagen, nach Errichtung eines Lärmschutzwalles, erlaubt. Dennoch sind einige Anwohnende gegen die Erweiterung und protestieren. Vor allem sehen sie durch den Betrieb und der damit einhergehenden Lärmverschmutzung die umliegende Natur gefährdet [6].

Abbildung 3: Recyclinganlage (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Die Brechanlage von Otto Dörner liegt an einer Anhöhe, damit Radlader diese von oben, über einen Aufgabe-Trichter, mit dem Schutt beladen können. Die Person, die den Radlader fährt, ist sogenannte/r „Kippkontrolleur/in“. Gemeinsam mit der Annahmestelle und durch den Vorgang der Zwischenlagerung der Ware, soll die Bestimmung des Materials gewährleistet sein, sodass am Ende nachvollziehbar bleibt, aus welchem Ursprungsmaterial und von welcher Baustelle das Brechgut stammt. Die Gefahr, dass Störstoffe in die Anlage gelangen, ist dennoch hoch – Ulf Behr erklärt mir im Interview, dass nur ein Siebtel des Bauschuttes brauchbar sei. Im Bauschutt lande „alles Mögliche“. Ungewollte Abfälle blieben dabei teilweise unentdeckt, teilweise würden sie vorsätzlich tief im angelieferten Bauschutt versteckt, so Ulf Behr. Außerdem sei zu beachten, dass der in Norddeutschland gewonnene Bauschutt, durch die historisch übliche Verwendung der örtlichen Gesteine im Bau, die Alkalienempfindlichkeitsklasse EIII aufwiese, was eine besonders schlechte Einstufung ist. Das mache den Bauschutt im Sinne der Kreislaufgerechtigkeit, also der Wiederverwendung im Hochbau, nicht unbrauchbar, jedoch schränke es die Nutzung als Gesteinskörnung für Betone höherer Expositionsklassen ein. Ulf Behr ist sich trotzdem gewiss: Alles was an Abfällen verwertet werden könne, müsse auch verwertet werden. Durch den Aufgabetrichter gelangt der Schutt auf eine Vibrationsförderrinne und wird dort gerüttelt, sodass Kleinstteile durch ein Fingersieb vom Schutt getrennt werden, bevor dieser in die Brechanlage gelangt.

Abbildung 4: Brechanlage (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Auf Grund des Betriebsausfalles, ist es uns möglich, einen Blick in die Brechanlage zu werfen. Die Schlagleisten des Brechers sind aus einem Keramikstoff hergestellt. Anders als es vermuten lässt, käme man hier mit Stahl nicht weit. Die Keramikbauteile müssten jedoch ebenfalls, mindestens einmal jährlich, je nach Arbeitsleistung, gewechselt werden. Nachdem das Material gebrochen ist, gelangt es auf ein Förderband, auf dem durch Einsatz von Wasser die Staubbildung eingedämmt wird. Am Ende des Förderbandes, welches die Brechanlage mit der Siebanlage verbindet, entfernen zwei Magnete Stahl aus dem Brechgut. Meist seien dies Bewehrungsstähle aus Beton. Je nachdem wie gut diese in der Brechanlage voneinander getrennt wurden – der Stahl verbiegt sich darin lediglich, nur der Beton wird gebrochen – sei die Erfolgsquote der Aussortierung. Dementsprechend müssen die Magnete hinter der Brechanlage liegen, weswegen der Gullydeckel die Anlage lahmlegen konnte. Schlussendlich wird das Brechgut zur Siebanlage gefördert, in der gröbere und feinere Korngrößen getrennt werden, sowie leichtere Störstoffe aussortiert werden. 

Abbildung 5: Magnete und Sieb (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Wir fahren ein kleines Stück weiter mit dem Pickup auf eine mit Betonsteinen gepflasterte Fläche, auf der die verschiedenen recycelten Gesteinskörnungen aufgehäuft werden. Hier sehen wir auch die „Hamburger Mische“, die im Rahmen des „CIRCuIT“ Projektes entwickelt wurde. Daneben eine Recycling-Gesteinskörnung aus reinem Betonbauschutt. Beide Gesteinskörnungen machen einen sortenreinen Eindruck auf mich und erinnern nicht mehr an den zuvor gesehenen Bauschutt. Herr Gühlstorf berichtet mir am Ende unserer Begehung davon, dass das Sieben vom Bauschutt auch eine Art Schatzgrabung sei. Abgesehen davon, dass man aus dem Bauschutt verschiedene Epochen des Bauens nachvollziehen und ablesen kann, machen sie bei Otto Dörner ab und an auch spannende Funde. So hätten sie vor kurzer Zeit eine Art Relief geborgen, das als ein Torbogen womöglich das Wappen einer Familie aus Niedersachen darstellte. Ein Museum für solche Fundstücke gibt es auf dem Gelände aber nicht. In Zukunft möchte die Firma Otto Dörner den Recyclinghof und die Anlage weiter ausbauen. Auf dem Grundstück soll, mittels PV- und Windkraftanlagen, der Strom bald selber produziert werden, berichtet mir Herr Gühlstorf.

Abbildung 6 (links): Betonsplitt (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA
Abbildung 7 (rechts): „Hamburger Mische” (2023), © Jan-Mathis Carstens, Lizenz: CC – BY – SA

Wir sprechen schließlich noch über die Wirtschaftlichkeit des Recyclings von Bauschutt. Gebrochener Bauschutt sei aktuell nutzbar als Mischgut für den Unterbau von beispielsweise Industriebauten oder Straßen. Gebrochener Beton-Bauschutt hingegen ließe sich hervorragend als Gesteinskörnung-Rezyklat einsetzen. Auf Grund dessen nehme die Firma Otto Dörner Betonbauschutt zu jeder Zeit an. Die Annahme von regulärem Bauschutt hinge hingegen davon ab, wie hoch der Bedarf und somit die Anfrage sei. Dies sei saisonal bedingt: Im Sommer, wenn viel gebaut wird, sei die Nachfrage entsprechend höher. Wirtschaftlich sei das Brechen von Bauschutt jedoch trotz des Aufwandes, da bereits die Annahme im Sinne eines Entsorgungsvertrages bezahlt werde und das Brechgut als Füllgut verkauft werden könne. Nur die Annahme von reinem Betonbauschutt würde nicht bezahlt werden. Dafür ließe sich die Recycling-Gesteinskörnung gut verkaufen, da vor allem in Hamburg eine große Nachfrage an nachhaltigem und zugleich leistungsfähigem Baumaterial herrsche. Zur Zeit sei die rezyklierte Gesteinskörnung Manufakturware. Perspektivisch soll sich dies jedoch, auch für Otto Dörner, durch weitere Automatisierungen, hin zur Industrieware entwickeln.

Obwohl es sich um einen „neuen“ Baustoff handelt, bestehen bereits viele Normen, welche die Verwendung von Recyclingbeton regulieren. Reyclingbeton im Sinne von normgerechtem Beton mit rezyklierter Gesteinskörnung, darf bis zur Druckfestigkeitsklasse C 30/37 in allen Tragwerken und Bauteilen verwendet werden, jedoch nicht als Spann- oder Hochleistungsbeton. Ebenso lassen sich Fertigteile aus Recyclingbeton herstellen. Zusätzlich ist der Einsatz von Recyclingbeton abhängig von der Expositionsklasse des jeweiligen Betonbauteiles oder -werkes. So ist vor allem im Wohnungsbau die Verwendung von Recyclingbeton in vielen Bereichen möglich, in Teilen auch bei Industrie- oder Ingenieurbauwerken. Der Anteil von Rezyklaten in der Gesteinskörnung im Beton darf bei Betonsplitt 45% betragen, bei Bauwerksplitt maximal 35%. Ulf Behr sieht die erlaubten Anteile in Zukunft steigen. Er sagt, dass diese geringen Anteile dem Mangel an Erfahrungswerten geschuldet seien. Recyclingbetone müssten genauso wie konventionelle Betone eine Nutzungsdauer von 50 Jahren gewährleisten, daher bedürfe eine Einordnung noch Zeit, so Herr Behr. Am 1. August 2023 ist die neue Ersatzbaustoffverordnung in Kraft getreten. Diese umfasst nun erstmals „bundesweite Regelungen zur Verwertung gütegesicherter Ersatzbaustoffe“ [7]. Die Regelungen schaffen für die Verwendung von aus Bauschutt gewonnenen Baustoffen ein entsprechendes Maß an Rechtssicherheit, welches es zuvor nicht gab. Motivation der Erneuerung der Verordnung war, dass wertvolle lokale Ressourcen gesichert werden sollen und die Wirtschaft dadurch unabhängiger von Baustoffimporten, wie beispielsweise der Bezug von Gesteinskörnungen aus Skandinavien oder Schottland, gemacht werden soll [7]. Statt entfernte Landschaften zu zerstören, soll die Verwertung von lokalem Bauschutt auch die Transportwege kürzen. Die Firma Otto Wulff, eines der größten Wohnungsbauunternehmen in Hamburg, habe zukünftig vor, regulär Recyclingbeton in Verwendung einer Weiterentwicklung der „Hamburger Mische“ mit einem Rezyklat-Anteil von 100% zu verwenden, erzählt mir Herr Behr. Dafür müssten dann bauaufsichtliche Zulassungen im Einzelfall erwirkt werden, was auch bereits geschehen würde. 

Da Bauen mit Recyclingbeton aktuell noch teurer ist als mit herkömmlichem Beton gibt es verschiedene Anreize, um das Bauen mit Recyclingbeton attraktiver zu gestalten: Beispielsweise die Förderung durch eine breite Zuschuss-Kampagne in Baden-Württemberg, welche bis Ende 2024 läuft [8] oder der Entschluss vom Berliner Senat im Jahr 2019, bei öffentlichen Hochbauvorhaben grundsätzlich Recyclingbeton zu verwenden [9]. Doch lautet die Frage, die gestellt werden sollte, nicht, ob Beton im Allgemeinen noch ein zeitgemäßer Baustoff ist? Es gibt einen Trend hin zur Verwendung nachwachsender Rohstoffe beim Bauen. So setzt sich unter anderem die Initiative „Bauhaus der Erde“ dafür ein, Materialien wie beispielsweise Beton, mit nachwachsenden Materialien wie Holz zu ersetzen. So könnten erhebliche Mengen an Kohlenstoffdioxid eingespart und gebunden werden, so die Initiative [10]. Doch können diese Baustoffe den Bedarf der modernen Gesellschaft decken? Die Wohnungsnot in den verdichteten Städten lässt uns in die Höhe bauen, da Bauplätze wertvoll sind. Einige Beispiele moderner Holzhochbauten, wie das 65 Meter hohe „Roots“ in Hamburg, zeigen uns, dass dies bereits mit großem Verzicht bezüglich Beton möglich ist. Gänzlich auf Beton konnte jedoch nicht verzichtet werden: Die Gründung des Gebäudes wurde aus Stahlbeton hergestellt. Infrastrukturprojekte wie der Bau der U-Bahn-Linie U5 in Hamburg oder andere Ingenieurbauwerke werden langfristig gesehen nicht ohne Beton realisierbar sein. Ob Recyclingbeton diesen Aufgaben gewachsen sein wird, bleibt abzuwarten. Auch wenn Recyclingbeton die immense Freisetzung von Kohlenstoffdioxid, die hauptsächlich bei der Herstellung von Zement entsteht, nicht nennenswert durch Einsparungen beim Transport und Herstellung der Gesteinskörnung durch Rezyklate senken kann, so gibt dieser zumindest eine Antwort auf die anfangs aufgezeigten Probleme des Abfallaufkommens. In der Branche wird über Vermüllung und Zerstörung des Planeten gesprochen. Das Thema kreislaufgerechtes Bauen gewinnt an Bedeutung. Davon ausgehend, dass langfristig nicht gänzlich auf Beton verzichtet werden kann, um den Bedürfnissen der heutigen Gesellschaft gerecht zu werden, dürfte es zumindest Aufgabe sein, ihn so kreislaufgerecht wie möglich herzustellen. Statt anderswo Landschaften zu zerstören, sollten die Baustoffe, die vor Ort zur Verfügung stehen, auch verwertet, anstatt deponiert werden. Auf meiner Reise bin ich einigen Menschen begegnet, die dies vorantreiben wollen. Ebenso wurde mir aufgezeigt, an welchen Stellen Verbesserungsbedarf herrscht. Die Aufgabe wird sein, Arbeitsabläufe, insbesondere den Schritt der Sortierung von gebrochenem Bauschutt, weiter zu optimieren, um die Kreislaufgerechtigkeit zu gewährleisten. Gleichzeitig muss der Baustoff massentauglich gemacht werden – Recyclingbeton von der Manufakturware hin zur Industrieware, wie es Herr Gühlstorf formulierte. Ein Blick in die aktuellen Entwicklungen der Normen im Gespräch mit Herrn Behr zeigte mir auf, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht – auch wenn es noch Zeit bedarf. Als angehender Architekt stelle ich mir auch persönlich die Frage, mit welchen Baustoffen ich die Zukunft bauen würde. Selbst wenn ich Abstriche bezüglich der Qualität des Baustoffes machen müsste und keine kurzfristigen Gewinne damit einfahren könnte – es geht für mich um unseren Lebensraum, den Planeten Erde. Für mich ist gute Architektur eine Architektur, die sich den Gegebenheiten anpasst – und nicht zuletzt ist davon auch die verantwortungsvolle Wahl des Baustoffes abhängig. Lokale und nachwachsende Baustoffe zu wählen, um die Zerstörung von Landschaften zu verhindern, ist eine lohnende Investition in unsere Zukunft.

[Lizenz: CC – BY – SA]

Quellen:

[1] Statistisches Bundesamt (Destatis). 2021. „Abfallbilanz”. Statistischer Bericht. Statistisches Bundesamt: Wiesbaden. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Umwelt/Abfallwirtschaft/Publikationen/Downloads-Abfallwirtschaft/statistischer-bericht-abfallbilanz-5321001217005.html

[2] Kreislaufwirtschaft-Bau. 2018. „Mineralische Bauabfälle Monitoring”. Bericht zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2018. https://kreislaufwirtschaft-bau.de/Download/Bericht-12.pdf

[3] Rota, A. 2014. „Technik: Betonrecycling – Recyclingbeton”. DETAIL Magazine for Architecture + Construction 6, S. 628-631.

[4] Beister, F. „CIRCuIT Projekt“. Vortrag Fa. Otto Wulff, Hamburg, 01. Juni 2023.

[5] Circular Construction in Regenerative Cities (CIRCuIT). https://circuit-project.eu

[6] Krüger, R. 2023. „Ärger in Lohe-Föhrden, Entscheidung über Betriebserweiterung steht bevor: Darum verzweifeln Anlieger”, sh:z. https://shz.de/lokales/rendsburg/artikel/betriebserweiterung-in-lohe-foehrden-anlieger-verzweifeln-44412328

[7] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. 2023. Verordnung zur Änderung der Ersatzbaustoffverordnung und der Brennstoffwechsel-Gasmangellage-Verordnung. https://www.bmuv.de/gesetz/verordnung-zur-aenderung-der-ersatzbaustoffverordnung-und-der-brennstoffwechsel-gasmangellage-verordnung

[8] Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. 2023. Förderung von ressourcen- und klimaschonendem Beton im Hochbau. https://um.baden-wuerttemberg.de/de/umwelt-natur/abfall-und-kreislaufwirtschaft/kreislaufwirtschaft/wertstoffe-aus-abfaellen/r-beton/foerderprogramm-r-beton

[9] Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Einsatz von RC-Beton bei öffentlichen Hochbaumaßnahmen im Land Berlin. https://www.berlin.de/sen/uvk/umwelt/kreislaufwirtschaft/projekte/rc-beton/

[10] Bauhaus Earth. 2022. Toward Re-Entanglement: A Charter For the City and the Earth. https://bauhauserde.org/initiatives/re-entanglement