Eisenerz zu Stahlwinkel

Metall, Macht und Minen

Greta Ghanem

Vor über 2,7 Milliarden Jahren war kaum Sauerstoff in der Atmosphäre, auch die Ozeane waren sauerstofffrei. Gigantische Eruptionen aus Lava, die hauptsächlich aus Flutbasalten bestanden, traten auf. In dieser befremdlichen Umgebung verwitterten die Flutbasalte und andere Gesteine. Aus den Steinen lösten sich Eisen und andere Mineralien und gelangten in die sauerstofflosen Ozeane. So oxidierte das Eisen nicht und lagerte sich in Ozeanbecken ab. Im heutigen Nordosten Brasiliens, im Bundesstaat Pará, lag genau eines dieser Becken in der Tiefsee. Aufgrund weiterer Becken im Umkreis lagerte sich kein Schlamm oder Sand, sondern nur abwechselnd pures Eisen und Siliciumdioxid ab. Es entstanden Eisenerzablagerungen, die ihrem Erscheinungsbild nach Bändererze genannt werden [1, 2]. Etwa 17,8 Milliarden Tonnen dieses Eisenerzes lagerten sich im Becken bei Carajás im Südosten des Bundesstaates Pará ab. Die dortigen 400 m dicken Bändererzformationen bestehen aus Hämatit mit einem Eisengehalt von über 60% [2, 3]. Ähnliche Milliarden Jahre alte Gesteinsablagerungen sind auch im Bundesstaat Minas Gerais im sogenannten „Eisernen Viereck“ zu finden [1, 4]. Heute wird Eisenerz mit einer enormen Geschwindigkeit abgebaut. Mehr als 1,5 Millionen Tonnen pro Tag kamen 2022 aus den brasilianischen Minen, davon etwa 34% aus Pará und über 63% aus Minas Gerais [5]. Das Eisenerz bleibt aber größtenteils nicht in Brasilien [6]. 2018 wurden etwa 88% des abgebauten Eisenerzes ins Ausland exportiert [7].

Abbildung 1: Ansicht Bändererze in Minas Gerais, Brasilien (2012),
© James St. John, Lizenz: CC – BY 2.0 (Titel geändert)

Dieses Eisenerz landet etwa, weiterverarbeitet als Stahl, unter einer 8500 km entfernten Bandsäge, die sich langsam senkt. Als das stählerne Sägeblatt der Säge auf das Stahlprofil trifft, wird es laut. Die Säge steht in einer Halle in Hamburg-Altona, deren Dach selbst von Stahlträgern und -stützen gehalten wird. Rechts und links über der Säge hängen Regale aus T-Profilen an der Wand. In diesen türmen sich rechts die etwa 6 m langen Profile, die frisch vom Stahlhändler kommen. Links stapeln sich die Reste von vorherigen Aufträgen, die aber immer noch eine Länge von 0.6 bis 4 m haben. Geordnet ist das Ganze in verschiedene Formate. Flachprofile, T-Profile, U-Profile, Hohlprofile und Vollprofile liegen jeweils neben und aufeinander in einer Ebene der Regale. Sortiert wird nach Baustahl, Edelstahl und anderen Metallen. Am meisten ist Baustahl auf Lager, der sich durch eine hohe Festigkeit und hohe Zähigkeit besonders zum Schweißen eignet. Die Sorten S235 und S355 dominieren dabei den Baustahlmarkt [8]. In der Werkstatt verwendet der Altonaer Betrieb, bei dem ich ein Baupraktikum im Rahmen meines Architekturstudiums mache, aber vor allem erstere. Unter der Säge stehen Eimer für die möglichst kleinen Reste, die anfallen. Stahlreste können komplett recycelt werden, dabei verliert der Stahl kaum an Qualität [9]. Im Unterschied zu anderen Ländern wird in Deutschland der Großteil des Stahls noch immer nicht aus diesem Schrott recycelt, sondern zu mehr als zwei Dritteln aus der primären Stahlproduktion mit frisch abgebautem Eisenerz hergestellt [9, 10]. Wahrscheinlich steckt in dieser Masse an verschiedenen Stählen, die mich umgibt, also neu gewonnenes Eisenerz. Wahrscheinlich stammt ein Teil dieses Erzes aus dem mehrere Milliarden alten Vorkommen aus Brasilien, denn Brasilien ist 2021 nach Australien der größte Produzent von Eisenerz [11]. Deutschland bezog 2021, laut Statista, 7,44 Millionen Tonnen seines Bedarfes an Eisenerz aus dem südamerikanischen Land [10, 12]. Brasilien ist mit etwa 18,8% der Gesamtimportmenge der drittwichtigste Lieferant des Rohstoffes für die Bundesrepublik [12, 13]. Eine riesige Menge Erz, die in Brasilien in weniger als fünf Tagen abgebaut wird [5]. Global betrachtet werden bis zu 98% dieses Erzes anschließend zu Stahl weiterverarbeitet [14], der zu 50-55% im Bau von Infrastruktur und Gebäuden verwendet wird [3]. Damit ist die Bauindustrie einer der treibenden Faktoren des Erzabbaus und der Stahlproduktion.

Wenn man den Schalter der Flex nach oben drückt, fängt sich das runde Schleifblatt an zu drehen und wird zu einem roten Kreis. Funken sprühen, wenn die Flex auf die Kante des Stahlprofils trifft. Metallspäne fliegen. Vor der Weiterverarbeitung der zugeschnittenen Flachprofile werden zunächst die Kanten abgeschliffen, damit man sich nicht an ihnen schneiden kann. An jedem zweiten der rechteckigen Metallstücke wird eine der acht Kanten soweit gesenkt, dass ein Dreieck von etwa 0,5 cm fehlt. An diesem Streifen wird jedes Metallstück mit einem zweiten verbunden. Ein Winkel entsteht. Etwa 30 cm lang, 20 cm hoch und 15 cm breit werden diese Winkel sein, die später einen hölzernen Dachstuhl zusammenhalten sollen. Stahl steckt in jedem Haus.

Abbildung 2: Fundão Damm in Minas Gerais, Brasilien (2017),
© Vinícius Mendonça/Ibama, Lizenz: CC – BY – SA 2.0 (Titel geändert)

Die Bauindustrie ist auf Stahl angewiesen, doch die Förderung belastet Mensch und Umwelt. Am 5. November 2015 brach der Fundão Damm in Minas Gerais, der Abfälle des Eisenerzabbaus zurückhält. Durch die befreiten Massen an Wasser und Schlamm bricht ein weiterer Damm und über 50 Millionen Kubikmeter der feuchten Masse ergießen sich über Teile des Ortes Mariana und begraben Menschen und Gebäude unter sich [15, 16]. Am 25. Januar 2019, weniger als 4 Jahre später, bricht in der gleichen Region wieder ein Damm eines Rückhaltebeckens mit noch verheerenderen Folgen [15]. Rückhaltebecken sind im Eisenerzabbau nötig, um das belastete Wasser aufzufangen, das meist beim Trennen von Erz und Gestein verwendet wird [17]. Dieses Wasser, das in Verbindung mit den mitgerissenen Sedimenten zu einer Schlammlawine wurde, besteht hauptsächlich aus Eisenoxid und Siliciumdioxid, sowie in kleineren Teilen aus anderen Schwermetallen [16]. Im Falle des Dammbruches in Mariana führten diese toxischen Elemente und die große Menge an Schlamm, die sich über das empfindliche und sehr artenreiche Gebiet um den Rio Doce ergossen, zu einem erheblichen Verlust an Vegetation, als auch zum Tod ganzer Fischpopulationen [18]. Die BBC sprach beim Desaster von 2015 vom „maior desastre da história da mineração mundial“, also der „weltweit größten Katastrophe in der Geschichte des Bergbaus“ [19]. Auch die beiden Soziologen und Demografen José Diniz und George Martine sprechen im Buch „Brazil in the Anthropocene“ von „der vermutlich größten Umweltkatastrophe in der Geschichte Brasiliens“ [20, S. 51]. Diese Katastrophen scheinen zudem keine Einzelfälle zu sein, da es bereits in der Dekade vor der ersten Katastrophe fünf weitere, wenn auch nicht so verheerende Vorfälle in Minas Gerais gab [20]. Auch galten 2016 immer noch allein in Minais Gerais 40 Rückhaltedämme als komplett gefüllt und instabil [21]. Es entsteht somit der Eindruck, dass bewusst Risiken für die Umwelt mit verheerenden Folgen hin genommen werden, um wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen [19, 22].

Abbildung 3: Zerstörung im Dorf Mariana durch den Dammbruch (2017),
© Rogério Alves/TV Senado, Lizenz: CC – BY 2.0 (Titel geändert)

Laut dem Soziologen und Anthropologen Rodrigo Salles Pereira dos Santos und dem Wirtschaftsingenieur Bruno Milanez kommt es in Brasilien immer mehr zu einer Selbstregulierung von Unternehmen, statt dass die wenigen vorhandenen Umweltschutzvorschriften kontrolliert und geahndet werden. Das heißt, es gibt kaum Regulierung durch den Staat, sondern vielmehr kreieren private Firmen eigene Institutionen, die mit Umweltrisiken verbundene Vorhaben genehmigen und überwachen [22]. Ein Unternehmen ist verbunden mit diesen beiden Umweltkatastrophen: Vale S.A. [15]. Vale ist nach eigenen Angaben der größte Produzent von Eisenerz weltweit [23]. Nach dem Naturwissenschaftler Vaclav Smil ist die Firma zumindest weltweit der größte Exporteur von Eisenerz [3]. In Brasilien produziert Vale fast 85% des abgebauten Eisenerzes, gefolgt unter anderem vom eigenen Tochterunternehmen Samarco [3, 20]. Um zu verstehen, warum Vale so viel Macht auf dem brasilianischen Markt und in rechtlichen Prozessen hat, hilft ein Blick in die Geschichte der Firma und Brasiliens. Diese ist geprägt durch die Ausbeutung und Zerstörung natürlicher Ressourcen, als auch Menschen, beginnend im Brasilien des 15. Jahrhunderts mit dem transatlantischen Sklavenhandel und der Ausbeutung sowie dem globalen Export durch die Kolonisator*innen. Zu dieser Zeit waren Agrarprodukte und Rohstoffe aus dem Bergbau die begehrten Produkte des globalen Nordens [24]. Was damals Zucker, Kaffee, Gold und Diamanten waren, wurde bis zum heutigen Tage um mehr Rohstoffe der Agrar- und Bergbauwirtschaft erweitert, wie auch Eisenerz. Die Kolonialzeit und die damit eng verknüpfte Sklaverei, blieb in Brasilien so lange wie in keinem anderen lateinamerikanischen Land bestehen. Erst 1822 wurde Brasilien zu einem unabhängigen Staat und weitere 50 Jahre später wurde Sklaverei gesetzlich verboten, was nicht bedeutet, dass eine Siedlermentalität oder ausbeuterische Arbeitsverhältnisse damit beendet waren. Die immer flächigere Ausbeutung der Natur Brasiliens, auf Grund der Expansion der Landwirtschaft und des Bergbau, wurde durch verschiedene politische Programme in beiden darauf folgenden Jahrzehnten bis heute befeuert: Etwa das Motto von „Order and Progress“ am Anfang des 20. Jahrhunderts oder „Brazil Superpower“ des Militärregimes der 1960er bis 80er Jahre.

Abbildung 4: Satellitenaufnahme der Mine Serra Norte, Carajás, Brasilien (2018),
© NASA Earth Observatory, Joshua Stevens, using Landsat data from the U.S. Geological Survey, lizenzfrei (Titel geändert)
Abbildung 5: Serra Norte Mine im Kontrast zum umliegenden Regenwald (2018),
© NASA Earth Observatory, Joshua Stevens, using Landsat data from the U.S. Geological Survey, lizenzfrei (Titel geändert)

Selbst Lula da Silva, der jetzt nach einer Pause wiedergewählte Präsident Brasiliens der nach der Amtszeit Bolsonaros Hoffnung auf einen umweltpolitischen Wandel weckte, verfolgte in seiner ersten Amtszeit ebenfalls wirtschaftliches Wachstum durch den Abbau natürlicher Ressourcen, etwa auch durch den Abbau von Eisenerz [20, 22]. Unter anderem wird ihm vorgeworfen, global Lobbyarbeit für Vale betrieben zu haben [25]. Vale profitierte sowohl durch diese politische Initiative für wirtschaftliches Wachstum, angetrieben durch den Export von Rohstoffen, als auch von der daraus resultierenden gesellschaftlichen Zustimmung [15, 22]. Darüber hinaus rührt die enge Verbindung zur Politik auch daher, dass Vale ein staatliches Unternehmen war. Durch die Privatisierung in den 1990er Jahren profitierten fast ausschließlich Aktionär*innen und Politiker*innen [15].

In der Werkstatt in Hamburg müssen die zugeschnittenen Metallstücke noch Löcher zum Festschrauben an der Holzkonstruktion erhalten. Dafür werden erst Stellen für die Löcher mit Kreuzen markiert und gekörnt, also eine kleine Vertiefung zum Ansetzen des Bohres geschaffen. Danach wird vorgebohrt und schließlich durchbohrt. Mit einem Senkkopf werden die entstandenen Kanten des Loches von einer Seite zunächst abgefräst und von der anderen Seite schließlich gänzlich gesenkt, damit der Kopf der Schraube eben mit dem Werkstück ist. Beim Messen versuche ich mich zu konzentrieren, denn wenn ich an der falschen Stelle das Loch bohre, landet der Stahl meistens in den Eimern unter der Säge, also beim Schrotthändler. Neu zuschneiden und bohren ist aufgrund der Arbeitszeit teurer als der Stahl, erklärt mir mein Chef. Werden mit diesen billigen Preisen die massiven Umweltfolgen in Brasilien, wie etwa durch die Dammbrüche, in Kauf genommen? Und inwieweit gibt es eine Verbindung zu diesen Dammbrüchen bis hier in die Werkstatt?

Das größte deutsche Stahlunternehmen ThyssenKrupp beispielsweise bezieht nach eigenen Angaben den Großteil seines Eisenerzes von Vale – die genaue Herkunft, also die spezifischen Minen, möchte das Unternehmen aus Wettbewerbsgründen jedoch nicht preisgeben [26]. Gleichzeitig beschuldigt unter anderen die Menschenrechtsorganisation ECCHR, das deutsche Unternehmen TÜV SÜD mitverantwortlich am Brumadinho-Dammbruch zu sein. Das Unternehmen hatte den Damm, trotz Sicherheitsbedenken, vier Monate vor der Katastrophe im Januar 2019, für sicher erklärt [27]. Die rechtlichen Verfahren der Hinterbliebenen der Opfer des Dammbruchs sind bis heute (2023) nicht abgeschlossen [28]. Um die Preise zu senken, wird beim Eisenerzabbau auch auf Tagebau gesetzt. Diese offenen Minen werden immer größer konzipiert, um möglichst hohe Profite zu erzielen [29, 30]. Neben großen Katastrophen wie Dammbrüchen, gibt es bei diesen riesigen Projekten weitere negative Auswirkungen auf die Umwelt im Allgemeinen und umliegende Gebiete im Besonderen [20]. Allein die großen Mengen an Gestein, die bewegt werden, können nach einer Analyse der Geographen Kevin Mallinger und Martin Mergili als anthropogene Störung betrachtet werden. Beim Abbau im Tagebau werden zudem durch Sprengungen und Fahrzeuge Stoffe freigesetzt, die Langzeitfolgen für Ökosysteme und das Klima haben. Diese tragen etwa zu Nährstoffanreicherungen in Flüssen bei, die sich negativ auf das lokale Ökosystem auswirken können [30]. 

Den Arbeitsschutz seiner Mitarbeiterinnen nimmt mein Chef in Hamburg sehr ernst. Bei all den Arbeitsprozessen in Hamburg, von denen ich erzähle, trage ich verschiedene Teile meiner Schutzausrüstung. Zum Tragen: einfache Arbeitshandschuhe; an der Bandsäge, zum Bohren und Schleifen: auf keinen Fall Handschuhe aber Gehörschutz und Schutzbrille; beim Entfetten: die Handschuhe gegen Verätzunge; beim Schweißen: einen Schweißhelm, der vor Funkenschlag und schädlichem Licht schützt, sowie die dicken Schweißhandschuhe aus Lammleder. Das Schutzmaterial an sich, sowie die Zeit, die die Angestellten brauchen, um das Schutzmaterial zwischen den Arbeitsschritten zu wechseln, kosten den Werkstattbetrieb Geld und verringern damit den Profit.

Abbildung 6: Arbeitshandschuh für Stahlbearbeitung (2023),
© Nicolas Hardt, Lizenz: CC – BY – SA

Da zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen auch die Extraktion von Eisenerz teurer machen, werden in Brasilien Vorschriften des Arbeitsrechts gerne umgangen. Ermöglicht wird dies durch die bereits erwähnte immer stärkere Selbstregulierung von Unternehmen [22]. Bei dem Dammbruch von 2015 kam es nicht nur zu fatalen Auswirkungen auf die Umwelt: 19 Menschen des überschwemmten Dorfes Mariana verloren ihr Leben und etwa 800 Menschen ihr Zuhause [16]. Teile des Entschädigungsverfahren für Betroffene wurden nach den Dammbrüchen in Minas Gerais über eine private Stiftung der Minenbetreiber und nicht staatlich organisiert [22]. Minenbetreiber*innen haben darüber hinaus auch lokal viel Macht, denn sie sind meist die einzigen Arbeitgeber*innen in Minenstädten [29]. So dokumentiert der Umweltökonom Joan Martinez-Alier im Global Atlas of Environmental Justice, dass nach der Katastrophe 2015 in Mariana fast 400 Minenarbeiter*innen wegen fallender Eisenerzpreise entlassen wurden. Gleichzeitig wurde eine höhere Produktivität von den restlichen Arbeitskräften erwartet, die deshalb um ihre Sicherheit fürchteten [16]. Die Philosophin Nancy Tuana stellt zudem in „Climate Apartheid: The Forgetting of Race in the Anthropocene“ fest, dass die Reduktion von Arbeitskräften zu sklavereiähnlichen Verhältnissen führt, die oft mit Umweltverbrechen zusammenhängen. Zerstörte Ökosysteme wiederum können dazu führen, dass Menschen in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse gedrängt werden. Von diesen Mechanismen seien Schwarze Menschen in Brasilien aus systemischen Gründen häufiger betroffen [24]. Profite im Rohstoffabbau sind häufig höher als in der Stahlproduktion [7]; gibt es einen Zusammenhang zwischen niedrigen Löhnen, prekären Arbeitsverhältnissen, der Ausbeutung der Umwelt und den hohen Profiten im Eisenerzabbau?

Abbildung 7: Güterzug auf dem Weg nach Tubarão (1990),
© Hans-Peter Bärtschi, Lizenz: CC – BY – SA (Titel geändert)

Nicht nur die riesigen Minen selbst können Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben: So führen auch Unterkünfte für Arbeiter*innen und die Transportinfrastruktur zu den Häfen zur Rodung von Wäldern [31]. In verschiedenen Arbeiten des Global Atlas of Environmental Justice wird dokumentiert, wie auch Pipelines und Bahnstrecken umweltpolitische und territoriale Konflikte hervorrufen. Die Verdopplung der Bahnstrecke zu der größten Eisenerzmine der Welt von Vale in Parás etwa resultierte in einer Bedrohung eines besonderen Ökosystems von hoher Relevanz und der Vertreibung  mehrerer hundert landlosen Familien aus dem Gebiet der Mine und der Produktionsstätten [32]. Auch die Projekte von Vale in Minas Gerais, bedrohen die Trinkwasserversorgung, Ökosysteme und die Lebensqualität in der Region: Die Apollo Mine gefährdet sowohl nur dort vorkommende Arten, als auch notwendige Wasserquellen [33], die Capão Xavier Mine, die von einer Tochtergesellschaft von Vale betrieben wird, belastet das Trinkwasser der Metropolregion von Belo Horizonte und belästigt die Anwohner*innen durch Lärm [34]. Es werden jedoch auch die Gegenbewegungen der Anwohner*innen und sympathisierenden Gruppen aufgezeigt [32, 33, 34].

Nach dem Schweißen muss ich die Schweißnähte schleifen, damit eine ebene Oberfläche entsteht. Da ich in der Werkstatt nicht nur einen Winkel herstelle, sondern zwanzig, stehe ich eine ganze Weile vor dem Werktisch, während metallene Funken um mich fliegen. Als ich auch den letzten Winkel geglättet habe, nehme ich meine Schutzbrille ab. Ich kann den  Umriss der Brille auf meinem Gesicht, gezeichnet durch die schwarzen Staubränder, noch immer deutlich erkennen. Während ich mich im Rahmen des Praktikums freiwillig diesem Staub aussetzte, sind manche Menschen unfreiwillig davon betroffen. Durch Züge oder Pipelines landet das Eisenerz in Häfen wie dem in Tubarão, um beispielsweise nach Deutschland verschifft zu werden. Dort verschmutzen die Hafenaktivitäten von Vale, Samarco und anderen die Luft seit 2009 so stark, dass in der Stadtbevölkerung  ungewöhnlich viele Gesundheitsschäden festgestellt wurden [35, 36]. Doch auf diesem Weg aus den Eisenerzminen bis in die Werkstatt in Hamburg, entsteht der Hauptteil der CO2-Emissionen dennoch nicht in Brasilien, sondern vor unserer eigenen Haustür [37]. Im industriell geprägten Westen Deutschlands liegt eines der größten Stahlwerke Europas [3, 38]. Wenn hier Eisenerz im Hochofen mit Hilfe von Koks und unter Beigabe von Mineralien als Flussmittel zu Roheisen reduziert wird, entsteht das meiste Kohlenstoffdioxid des gesamten Herstellungsprozesses von Stahl [3]. Im Jahr 2021 konsumierte Deutschland etwa 426 kg Stahl pro Kopf, während der Verbrauch in Brasilien im gleichen Jahr nur bei etwas mehr als einem Viertel dieser Menge lag [39].

Die günstigen Preise von Stahl, die den verhältnismäßig preiswerten Materialeinsatz in Europa ermöglichen, entstehen zu einem großen Teil durch die mehr oder weniger bewusste Gefährdung von Natur und Arbeitskräften in Abbaugebieten. Darüber hinaus befeuert die Produktion und das Verbauen von Stahl in Deutschland den Klimawandel und verursacht weitere ökologische Krisen/Folgen. Brasilien leidet unverhältnismäßig unter diesen Effekten. Zudem ist die brasilianische Gesellschaft noch immer stark durch ihre koloniale Vergangenheit geprägt. Konzerne wie Vale halten solche Verhältnisse aufrecht. Die Stahlverarbeitung bringt mir Spaß, vielleicht auch weil ich die Macht bekomme, ein Element mit Hilfe von Energie neu zusammenzufügen. Was mir zu Beginn jedoch nicht bewusst war, ist, dass diese Materialien nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Welt verformen.

[Licensed under: CC – BY – SA]

Quellen:

[1] Prothero, D. R. 2018. „Banded Iron Formation. Mountains of Iron: The Earth’s Early Atmosphere“, in The Story of the Earth in 25 Rocks, Columbia University Press, S. 144–153. doi: 10.7312/prot18260-016

[2] Klein, C. und Ladeira, E.A. Mai 2002. „Petrography and geochemistry of the least altered banded iron-formation of the archean carajás formation, northern Brazil”, Econ. Geol., Bd. 97, Nr. 3, S. 643–651. doi: 10.2113/gsecongeo.97.3.643

[3] Smil, V. 2016. Still the Iron Age: Iron and Steel in the Modern World. Butterworth-Heinemann.

[4] Kessler, W. und Müller, G. Dez. 1988. „Minor and trace-element data of iron oxides from iron-formations of the Iron Quadrangle, Minas Gerais, Brazil“, Mineral. Petrol., Bd. 39, Nr. 3, S. 245–250, doi: 10.1007/BF01163038

[5] „Anuário Mineral Brasileiro“. 2022. AgênciaNacional de Mineração. https://www.gov.br/anm/pt-br/centrais-de-conteudo/publicacoes/serie-estatisticas-e-economia-mineral/anuario-mineral/anuario-mineral-brasileiro/anuario-mineral-brasileiro

[6] Saes, B. M. und Bisht, A. Nov. 2020. „Iron ore peripheries in the extractive boom: A comparison between mining conflicts in India and Brazil“, Extr. Ind. Soc., Bd. 7, Nr. 4, S. 1567–1578. doi: 10.1016/j.exis.2020.09.010

[7] „2020 World Steel in Figures“. worldsteel.org. https://worldsteel.org/wp-content/uploads/2020-World-Steel-in-Figures.pdf

[8] Hanses, K. 2017. Basics Stahlbau. Birkhäuser. doi: 10.1515/9783035612530

[9] Ruge, J. und Wohlfahrt, H. 2013. Technologie der Werkstoffe. Wiesbaden: Springer Fachmedien. doi: 10.1007/978-3-658-01881-8.

[10] Feldmann, M. 2022.Werkstoff Stahl – Werkstoffeigenschaften Werkstoffprüfung in Petersen Stahlbau: Grundlagen der Berechnung und baulichen Ausbildung von Stahlbauten. Wiesbaden: Springer Fachmedien. doi: 10.1007/978-3-658-20510-2.

[11] „Eisenerz: Minenproduktion nach Ländern bis 2021“, Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153884/umfrage/minenproduktion-von-eisenerz-nach-laendern/

[12] „Eisenerz – Deutscher Import nach Ländern 2021“, Statistahttps://de.statista.com/statistik/daten/studie/1342801/umfrage/eisenerzimporte-von-deutschland-nach-laendern/

[13] „Eisenerz – Importmenge bis 2021“, Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/156835/umfrage/eisenerzimporte-der-deutschen-stahlindustrie-1970-und-2008-im-vergleich/

[14] Yellishetty, M. und Mudd, G. M. Dez. 2014. „Substance flow analysis of steel and long term sustainability of iron ore resources in Australia, Brazil, China and India“, J. Clean. Prod., Bd. 84, S. 400–410. doi: 10.1016/j.jclepro.2014.02.046

[15] Machado, I. F. und Figueirôa, S. Juni 2022. „Mining history of Brazil: a summary“, Miner. Econ., Bd. 35, Nr. 2, S. 253–265. doi: 10.1007/s13563-021-00293-0

[16] EJOLT, „Samarco Tailings Dam Failure in Mariana, Minas Gerais, Brazil | EJAtlas“, Environmental Justice Atlas. https://ejatlas.org/conflict/samarco-tailings-dam-disaster-minas-gerais-brazil

[17] Carmignano, O. R., Vieira, S. S. u. a. Okt. 2021. „Iron Ore Tailings: Characterization and Applications“, J. Braz. Chem. Soc., Bd. 32, S. 1895–1911. doi: 10.21577/0103-5053.20210100

[18] Fernandes, G. W. u. aJuli 2016. „Deep into the mud: ecological and socio-economic impacts of the dam breach in Mariana, Brazil“, Nat. Conserv., Bd. 14, Nr. 2, S. 35–45. doi: 10.1016/j.ncon.2016.10.003

[19] Costa, C. Dez. 2015. „O que já se sabe sobre o impacto da lama de Mariana?“, BBC News Brasil. https://www.bbc.com/portuguese/noticias/2015/12/151201_dados_mariana_cc

[20] Diniz Alves, J. E. und Martine, G. 2016. „Population, development and environmental degradation in Brazil“, in Brazil in the anthropocene: conflicts between predatory development and environmental policies, L.-R. Issberner und P. Léna, Hrsg., Taylor & Francis.

[21] Fabrício, S. A., Ferreira, D. D. M., und Borba, J. A. 2021. „Apanorama of Mariana and Brumadinho disasters: What do we know so far?“, REAd Rev. Eletrônica Adm. Porto Alegre, Bd. 27, S. 128–152, doi: 10.1590/1413-2311.310.102806.

[22] Dos Santos, R. S. P. und Milanez, B. 2017. „The construction of the disaster and the “privatization” of mining regulation: Reflections on the tragedy of the Rio Doce Basin, Brazil“, Vibrant Virtual Braz. Anthropol., Nr. v14n2, Art. Nr. v14n2. https://journals.openedition.org/vibrant/4478

[23] Vale. „Mining“. https://www.vale.com/mining

[24] Tuana, N. 2019. „Climate Apartheid: The Forgetting of Race in the Anthropocene“, Crit. Philos. Race, Bd. 7, Nr. 1, S. 1–31, doi: 10.5325/critphilrace.7.1.0001.

[25] Marshall, J. 2015. „Behind the image of South–South solidarity at Brazil’s Vale“, BRICS Anti-Capital. Crit.

[26] deutschlandfunkkultur.de, „Dammbruch in Brasilien – Unser Wohlstand, euer Schlamm“, Deutschlandfunk Kultur.  https://www.deutschlandfunkkultur.de/dammbruch-in-brasilien-unser-wohlstand-euer-schlamm-100.html

[27] „Fallbeschreibung: Das Geschäft mit der Sicherheit: Die Rolle von TÜV SÜD beim Brumadinho-Dammbruch in Brasilien“. https://www.ecchr.eu/fall/das-geschaeft-mit-der-sicherheit-die-rolle-von-tuev-sued-beim-brumadinho-dammbruch-in-brasilien/

[28] „‚Quälende Straflosigkeit‘“. https://www.fr.de/wirtschaft/quaelende-straflosigkeit-tuev-sued-vale-92046610.html

[29] Dos Santos, R. S. P. und Milanez, B. „The Global Production Network for iron ore: materiality, corporate strategies, and social contestation in Brazil“, Extr. Ind. Soc., Bd. 2, Nr. 4, S. 756–765, Dez. 2015, doi: 10.1016/j.exis.2015.07.002.

[30] Mallinger, K. und Mergili, M. „The long-term geophysical and geochemical impacts of the global iron ore industry in the context of the Anthropocene debate“.

[31] Sonter, L. J., Herrera, D., Barrett, D. J., Galford, G. L., Moran, C. J. und Soares-Filho, B. S. 2017. „Mining drives extensive deforestation in the Brazilian Amazon“, Nat. Commun., Bd. 8, Nr. 1, Art. Nr. 1, doi: 10.1038/s41467-017-00557-w.

[32] EJOLT, „Vale’s giant S11D iron ore project and Railroad Carajás, Pará, Brazil | EJAtlas“, Environmental Justice Atlas. https://ejatlas.org/conflict/vales-giant-s11d-iron-ore-project-in-carajas-para-brazil

[33] EJOLT, „Iron ore mining in Gandarela Mountain Range, Minas Gerais, Brazil | EJAtlas“, Environmental Justice Atlas. https://ejatlas.org/conflict/gandarela-mountain-range-minas-gerais-against-mining-iron

[34] EJOLT, „Iron ore mining in Nova Lima, MG, Brazil | EJAtlas“, Environmental Justice Atlas. https://ejatlas.org/conflict/capao-xavier-mine-brazil

[35] EJOLT, „Claiming against “black powder” at Tubarão Port in Vitória, Brazil | EJAtlas“, Environmental Justice Atlas.https://ejatlas.org/conflict/black-powder

[36] De Freitas, C. U., de Leon, A. P., Junger, W. und Gouveia, N., 2016. „Air pollution and its impacts on health in Vitoria, Espirito Santo, Brazil“,Rev. Saúde Pública, Bd. 50, doi: 10.1590/S1518-8787.2016050005909.

[37] Backes, J. G., Suer, J., Pauliks, N., Neugebauer, S. und Traverso, M. 2021. „Life Cycle Assessment of an Integrated Steel Mill Using Primary Manufacturing Data: Actual Environmental Profile“,Sustainability, Bd. 13, Nr. 6, Art. Nr. 6, doi: 10.3390/su13063443.

[38] „Where is steel made in Europe?“. https://www.eurofer.eu/about-steel/learn-about-steel/where-is-steel-made-in-europe/

[39] Statista. 2021. „Stahlverbrauch pro-Kopf nach ausgewählten Ländern weltweit 2021“, Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/802107/umfrage/stahlverbrauch-pro-kopf-nach-ausgewaehlten-laendern-weltweit/