Eine psychische Erkrankung kann sich erschwerend auf das Studium betroffener Studierender auswirken. Dabei können sie, ebenso wie der Rest der Gesellschaft, von ganz unterschiedlichen psychischen Erkrankungen betroffen sein. Am häufigsten erkranken Studierende an Depressionen und Angststörungen. Wobei Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen, Zwangsstörungen, Psychosen und alle anderen psychischen Erkrankungen natürlich auch unter Studierenden vorkommen. Autismus-Spektrum-Störungen und AD(H)S zählen nicht zu den psychischen Erkrankungen, sondern zu den neurobiologischen Störungen. Wir führen sie aber aufgrund ihrer Relevanz bei Schwierigkeiten im Studium mit auf. Von Menschen mit AD(H)S oder aus dem Autismus-Spektrum wird manchmal auch selbstbezeichnend der Begriff „neurodivers“ verwendet.
Zahlen & Fakten
Warum es wichtig ist, die Situation betroffener Studierender in den Fokus zu stellen, zeigt die Studierendenbefragung. Bei der Erhebung gaben bundesweit 16 % der Befragten an, eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu haben, die sich erschwerend auf das Studium auswirkt. Davon gehen 65% auf eine psychische Erkrankung zurück (best3 – Studieren mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung). Bei insgesamt 97 % der von einer gesundheitlichen Beeinträchtigung betroffenen Studierenden ist diese nicht bei der ersten Begegnung wahrnehmbar.
Studieren mit einer psychischen Erkrankung
Doch was bedeutet es eigentlich, seinen Studienalltag mit Panikattacken oder Antriebslosigkeit zu bewältigen? Um es vorweg zu nehmen: eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Sowohl die Schwere als auch die Symptome der Erkrankung sowie die daraus resultierende Belastung im Studium, können von betroffenen Studierenden subjektiv sehr individuell erlebt werden. Psychische Erkrankungen können sehr unterschiedliche Verläufe haben und z. B. einmalig, episodisch oder chronisch auftreten. Viele psychische Erkrankungen sind (gut) therapierbar. Betroffene haben Phasen, in denen sie sehr gut studieren können, manchmal aber auch eingeschränkt bis gar nicht studier- bzw. prüfungsfähig sind.
Darüber hinaus beschreiben Betroffene manchmal auch, dass ihnen ihre psychische Erkrankung neben der Belastung, dem Leid und den Einschränkungen auch Positives beschert, wie z. B. eine ausgeprägte Sensibilität oder eine erhöhte Wahrnehmung von Stimmungen, eine differenzierte Denkweise sowie mehr Verständnis für die Nöte und Sorgen anderer Menschen.
Um ein besseres Verständnis für die Situation Betroffener zu erlangen, kann es hilfreich sein, einen Blick auf die unterschiedlichen Erkrankungen und ihre jeweiligen Ausprägungen und die Auswirkungen aufs Studium zu werfen.
Diagnosen
Unter jeder Diagnose haben wir auch mögliche Auswirkungen aufs Studium benannt.
Weiterführende Informationen zu psychischen Erkrankungen
Erfahrungsberichte
Hier berichten Studierende, die von einer psychischen Erkrankung betroffen sind, über ihre Erfahrungen, Sorgen, Erfolge und Wünsche im Studium.
Stigmatisierung
Die Stigmatisierung psychisch erkrankter Menschen ist wohl so alt wie die Menschheit selbst. Das Wort „Stigma“ steht ursprünglich für die Bezeichnung eines Wund- oder Brandmals, das in der Antike Sklaven in die Haut eingebrannt wurde. Der amerikanische Soziologie Erving Goffman gilt mit seiner Studie „Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität“ als moderne Quelle zur Kennzeichnung des sozialen Prozesses der Stigmatisierung“ von 1967 als Begründer moderner Forschung derartiger sozialpsychologischer Prozesse.
Stigmatisierung findet auf vielen Ebenen statt und ist nicht immer absichtsvoll bzw. geht von konkreten Personen aus. Stigmatisierung kann zu Diskriminierung führen und umgekehrt. Zum einen gibt es strukturelle, indirekte Diskriminierung durch institutionalisierte Prozesse und Strukturen, z. B. der Ablehnung von Bewerber*innen im Bewerbungsverfahren, wenn diese ihre psychische Erkrankung offenlegen. Zum anderen gibt es auch individuelle, direkte Diskriminierung. Diese vollzieht sich interpersonell, das heißt mindestens eine Person schließt eine oder mehrere andere Personen aufgrund von negativ konnotierten Merkmalen aus, z. B. wird eine Studierende aufgrund ihrer Sprech- oder Verhaltensweise von anderen aus Gesprächen ausgeschlossen oder es wird mit ihr abschätzig gesprochen. Auch wird von einer Selbststigmatisierung dann gesprochen, wenn Menschen Stigmatisierungserfahrungen in ihre Identität integrieren – also mit Goffman gesprochen – nach einem Umgang mit ihrer beschädigten Identität suchen.
Der Psychiater Asmus Finzen („Stigma psychische Krankheit. Zum Umgang mit Vorurteilen, Schuldzuweisungen und Diskriminierungen“, 2013) bezeichnet diesen Prozess als „zweite Krankheit“, die als zusätzliche Belastung zur psychischen Krankheit bzw. Probleme hinzukommt.
Zur Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen äußert sich auch Prof. Dr. Thomas Bock vom Verein Irre menschlich Hamburg in unserem Interview.