VERSTEHEN: Zwei Geschlechter – immer schon da gewesen?

Polarisierte Geschlechtercharaktere

Die Historikerin Karin Hausen hat Ende der 1970er Jahre deutsche Lexikaartikel aus dem 18. und 19. Jahrhundert daraufhin untersucht, welche Eigenschaften Männern und Frauen in diesen Nachschlagewerken zugeschrieben werden. Sie analysiert, dass sich historisch zwei Pole herausbilden, zwei gegensätzliche Geschlechtscharaktere.

Die folgende Grafik zeigt einige der Eigenschaften und Lebensbereiche, die Frauen und Männern in den Lexika zugeschrieben wurden. Grundsätzlich gilt, dass Frauen nach dem Fortpflanzungszweck und Männer nach dem Kulturzweck (Wissenschaft, Politik, etc.) definiert wurden.

Geschlechtsspezifisch zugeschriebene Eigenschaften und Lebensbereiche

Emotionalität/ Gefühle/ Verständnis

Häusliches Leben

Hingabe/ Bescheidenheit/ Passivität

Schamhaftigkeit/ Anmut

Schönheit

Rationalität/ Geist/ Vernunft/ Wissen

Öffentliches Leben

Kraft/ Tapferkeit/ Aktivität

Durchsetzungsvermögen/ Gewalt

Selbstständigkeit/ Strebsamkeit

Karin Hausen stellt die These auf, dass die Polarisierung der Geschlechtscharaktere in die zwei Pole Mann und Frau dazu dient(e) die Hierarchie zwischen den Geschlechtern zu stabilisieren. Die Geschlechtercharaktere basierten nicht auf natürlichen Gegebenheiten, sondern auf einer gesellschaftlichen Polarisierung, die durch das Bildungssystem und die geschlechtsspezifischen Arbeitsbereiche getragen werde.

Der Geschlechtscharakter wird als eine Kombination von Biologie und Bestimmung aus der Natur abgeleitet und zugleich als Wesensmerkmal in das Innere des Menschen verlegt.

Die Basis für Geschlechterstereotype ist folglich ein Produkt der Geschichte. Einer Geschichte, die Menschen in Männer und Frauen einteilt(e) und ihnen gegensätzliche Eigenschaften zuschrieb, also polarisierte Geschlechtscharaktere.

Weiterlesen

  • Karin Hausen (1976): Die Polarisierung der “Geschlechtscharaktere”. In: Werner Conze (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Stuttgart, S. 363-393.