Ableismus

Basics

Begriffsklärung

Ableismus beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung. In unserer Gesellschaft werden Menschen an bestimmten Fähigkeiten gemessen, die angeblich alle haben sollen (wie z.B. laufen, sehen, sozial interagieren). Indem Menschen auf die Beeinträchtigung ihrer Fähigkeiten reduziert werden, entsteht Diskriminierung.

Eine ausführliche Erklärung zum Begriff „Ableismus“ findest du im Glossar von Diversity Arts Culture.

Wichtig ist es, Menschen mit Behinderungen zuerst als Menschen zu bezeichnen und nicht über Menschen als „Behinderte“ zu reden. Der Ausdruck „Behinderte“ reduziert diese Menschen sonst auf ein einziges Merkmal ihrer Person und stellt dies als defizitär in den Vordergrund.

Und was gilt als eine Behinderung? Dazu kannst du mehr im folgenden Einleitungstext lesen oder dir dieses Video von Funk ansehen.

Die Disability Studies sind eine Forschungsrichtung, die Behinderungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit verschiedenen Ansätzen erforscht. Leitmedien schreibt dazu: „Anders als die traditionellen, medizinisch und stark am Individuum orientierten „Behinderungswissenschaften“ (wie beispielsweise Sonderpädagogik) nehmen die Disability Studies die Perspektive eines sozialen oder kulturellen Modells von Behinderung ein: Behinderung ist das, was Gesellschaft, Kultur und Sprache daraus machen und weniger der beeinträchtigte Körper.“ Behinderung gibt es nicht einfach, sondern Menschen werden von einer gesellschaftlich bestimmten Norm aus als behindert und nicht-behindert bewertet. In Disability Studies wird also davon ausgegangen, dass Behinderung sozial, kulturell und historisch konstruiert wurde und wird.

Quelle: Leidmedien zu Disability Studies

Compulsory Able-Bodiedness ist ein theoretischer Fachausdruck aus den Disability Studies. Er wird bisher mehrheitlich im akademischen Bereich verwendet. Der Begriff beschreibt den gesellschaftlichen Zwang zur Nicht-Behinderung. Die ableistische Gesellschaft, in der wir leben, stellt permanent den Zwang her einen „funktionierenden Körper“ haben zu müssen. Das hängt mit unserem kapitalistischen Wirtschaftssystem zusammen. In diesem werden Menschen mittels ihrer körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit verglichen und bestmöglich verwertbar gemacht.
Einige Mitglieder der Community mit Behinderung lehnen jedoch den Begriff „able-bodied(ness)““ ab. Sie bevorzugen „nicht-behindert“ oder „enabled“, da diese Begriffe genauer sind und sich deutlicher auf das soziale Modell von Behinderung beziehen.

"Ich bin geistig behindert
und ich bin homosexuell."
"Ich bin kleinwüchsig
und ich bin Mutter"

Aussagen von Hugito und Emily aus dem Video 

„Ich bin behindert, aber ich bin nicht…“ von funk.

In diesem Video kommen Menschen, die mit einer Behinderung leben, zu Wort. Fünf Protagonist:innen geben Einblicke: Sie erzählen, wer sie sind, womit sie sich identifizieren und was sie gerne tun. Sie sprechen über Vorurteile und Kommentare, die sie – in Bezug auf die Behinderung, mit der sie leben – oft zu hören bekommen. Sie erklären, welche Bemerkungen sie besonders stören und nennen Alternativen. Das Video zeigt eine bestärkende Vielfalt an individuellen Perspektiven auf ganz unterschiedliche Stigmatisierungen im Leben mit einer Behinderung.

Was ist eine Behinderung?

Es ist ein Ausstellungsraum, ein gerahmtes Bild hängt im Hintergrund an der Wand. Auf Tischhöhe steht ein Fernseher auf dem eine Person zu sehen ist, die Gebärdensprache spricht. Davor ist eine Tafel in Brailleschrift. Im Vordergrund ist eine weiße Hand mit Falten und Schmuck zu sehen, die einen Tiptoi in eins von vier dafür vorgesehene Anschlüsse hält.
Andi Weiland | Gesellschaftsbilder.de

Die UN-Behindertenrechtskonvention macht deutlich:

Menschen sind nicht behindert.
Menschen werden behindert.

Einstellungs– und umweltbedingte Barrieren (wie z.B. fehlende Rollstuhlrampen, fehlende Übersetzungen in Gebärdensprache oder Audiodeskriptionen) und fehlenden Zugänge behindern Menschen. Sie erschweren eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft.

 

Im Jahr 2006 haben die Vereinten Nationen deshalb die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verabschiedet. Mit diesem Übereinkommen sollen in vielen Ländern der Erde seither z.B. die Menschenrechte von Personen mit Behinderung, ihr Schutz vor Diskriminierung und ihre gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben gesichert werden. 

 

In Deutschland wird gesetzlich über die Belange und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung mehrheitlich mittels des Sozialgesetzbuches entschieden. Im Sozialgesetzbuch wird definiert, dass Menschen mit einer Behinderung leben, wenn die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen an der Gesellschaft „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“ (Sozialgesetzbuch 9, § 2 (1)) behindert wird. Im Sozialgesetzbuch heißt es zudem, dass Menschen mit einer Beeinträchtigung leben, „wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“ Die Formulierungen im Sozialgesetzbuch zur Definition einer Behinderung machen deutlich, dass auch in diesen die Vorstellungen einer gesellschaftlichen Norm gespiegelt werden und eine Einteilung in behindert und nicht-behindert an Fähigkeiten gemessen wird.

 

Menschen mit Behinderung werden folglich von der Gesellschaft behindert und ausgegrenzt. Denn noch immer ist Vieles in unserer Gesellschaft nur auf Körper und Fähigkeiten ausgerichtet, die einer bestimmten gesellschaftlichen Norm entsprechen: gesund oder krank, behindert oder nicht-behindert, normal oder unnormal. 

 

Was ist normal?

Viele Menschen gehen davon aus, dass eine Beeinträchtigung von der Normalität abweicht. Diese Wahrnehmung setzt voraus, dass es Körper gibt, die ›normal‹ sind, also z.B. gesund und funktionsfähig. Und, dass es Körper gibt, die ›nicht normal‹ sind, also ungesund und in ihrer Funktion eingeschränkt. Diese Einteilung ist gesellschaftlich gemacht, gewachsen und gefestigt (z.B. durch Sprache, Medien, Gesetze). Diese Vorstellung führt auch dazu, dass wir die Behinderung, mit der eine Person lebt, oftmals als bestimmend für die Persönlichkeit und die soziale Teilhabe eines Individuums ansehen. Die Gesellschaft in der wir leben, stellt also permanent den Zwang her, einen „funktionierenden Körper“ zu haben (Compulsory Able- Bodiedness). Doch diese Ausrichtung der Gesellschaft an einer Norm, die viele Menschen mit Behinderung ausschließt, ist diskriminierend. Diese Diskriminierungsform gegen Menschen mit Behinderungen heißt Ableismus (englisch: Ableism).

 

Behinderung tritt meist im Alter auf

0 %

Menschen mit Behinderungen​ leben in Deutschland (2022)

7,8 Millionen Menschen leben mit schweren Behinderungen in Deutschland (Statistisches Bundesamtes 2022). Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von rund 9,4 Prozent. Es gibt unterschiedliche Gründe für schwere Behinderungen. Der überwiegende Teil, insgesamt 86 Prozent, ist durch eine Krankheit verursacht. Vier Prozent der Behinderungen waren angeboren beziehungsweise traten im ersten Lebensjahr auf. Bei zwei Prozent war der Auslöser ein Unfall oder eine Berufskrankheit. Die meisten Behinderungen treten im Alter (ab 55 Jahren) auf. Eine Identität als nicht-behinderter Mensch ist daher fragil und hält nicht für immer. Im Alter leben viele Menschen vorübergehend oder dauerhaft mit kleineren oder größeren Beeinträchtigungen. „Vielleicht ist das ein Grund, weshalb Behinderung so viel Angst und Unsicherheit auslösen kann– sie ist in Wirklichkeit näher dran am nicht-behinderten Leben, als den meisten Leuten lieb ist“, schreibt Rebecca Maskos. 

 

Rebecca Maskos ist u.a. Mitbegründerin von Leidmedien.de und arbeitet in Projekten zu Behinderung und Feminismus, sowie als freie Journalistin zu behindertenpolitischen Themen. 

Ableism

„Als ob es eine Checkliste gäbe an Fähigkeiten, die man erfüllen können muss, und wenn man das nicht kann, dann ist man halt kein vollwertiger Mensch.“

Dirk Sorge im Video „Ableismus“ von Diversity Arts Culture

Video abspielen

In diesem Video erklärt der Künstler und Kulturvermittler Dirk Sorge die Diskriminierungsform Ableismus. Ableismus liegt die Vorstellung von fähigen und nicht-fähigen Menschen zugrunde.
Dirk Sorge bezieht sich in dem Video vor allem auf den Bereich Kunst und Kultur und zeigt hier Diskriminierungsmechanismen auf.

Das vorgestellte Projekt Berlinklusion versucht innerhalb des Kultur- und Kunstbereichs Barrieren aufzudecken und abzubauen und diesen Bereich somit zugänglicher zu machen.

Medien und Teilhabe

Für Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen sind Medien besonders wichtig, um gesellschaftliche Teilhabe zu erreichen. In der UN-Behindertenrechtskonvention wird Medien daher eine Querschnittsfunktion bei der Umsetzung „gleichberechtigter Teilhabe und Inklusion“ zugewiesen. In dem Artikel Teilhabe in einer digitalen Gesellschaft – Wie Medien Inklusionsprozesse befördern können unterscheidet Ingo Bosse drei Ebenen der medialen Teilhabe: Teilhabe in, an und durch Medien.

Fotografin mit Behinderung richtet ein Bild im Fotostudio ein. SIe steht hinter der Kamera und dem Stativ. Ihre Assistintin schaut ihr zu. Photo by Andi Weiland on gesellschaftsbilder.de

 

Hier geht es um die mediale Darstellung.

Wie und von wem werden Menschen mit Behinderung in den Medien dargestellt? Artikel 8 der UN- Behindertenrechtskonvention sagt aus, dass das Bewusstsein für die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen, ihr gesellschaftlicher Beitrag und ihre Würde gestärkt werden sollen. Unkenntnisse, Fehlvorstellungen, Vorurteile und Klischees sollen abgebaut werden. Wichtiger Aspekt der Teilhabe in Medien ist die Selbstrepräsentation von Menschen mit Behinderung. Die Vielfalt an Geschichten von Menschen mit Behinderungen und ihren individuellen Lebensentwürfen sichtbar zu machen, ist wichtig. Selbstbestimmte mediale Repräsentation ist zunehmend z.B. auf Blogs und in sozialen Netzwerken zu sehen. Doch die mediale Repräsentation allein reicht nicht aus, um dem weit verbreiteten Ableismus entgegenzuwirken. Viel mehr braucht es strukturelle Veränderungen. Es braucht Zugänge für behinderte Personen zu Entscheidungs- und Leitungsfunktionen im Mediensektor, damit diese die Gesellschaft mit ihrer Perspektive tatsächlich bereichern – und das nicht nur ausschließlich zu „Behindertenthemen“.  

Zwei weiße Hände tippen auf die Tastaturen von einem Laptop. Aufgerufen ist eine Internetseite der taz mit einem Foto von Angela Merkel. Die Hände berühren sowohl, die Tastatur des Laptops, als auch eine zusätzlich angeschlossene Tastur für Menschen mit Sehbeeinträchtigung Photo by Michel Arriens on gesellschaftsbilder.de

 

Hier geht es um mediale Zugänglichkeit.

 

Für eine demokratische Meinungsbildung ist ein gleichberechtigter Zugang zu Informationen und Kommunikation Voraussetzung. Medien müssen daher für alle gleichberechtigt zugänglich sein. Medien sollten Partizipation ermöglichen. Von der Kommunikation durch Medien sollte niemand ausgeschlossen sein. Eine barrierefreie Mediengestaltung (wie z.B. Untertitelung und Audiodeskription) ist dafür unbedingt notwendig. 

Mehr zu barrierefreier Mediengestaltung findest du hier.

Eine Aufnahme des Publikums während einer Veranstaltung. Die Zuhörer:innen sitzen, einige tragen Kopfhörer. Ein grünes Licht fällt auf die die ca. 150 Zuschauenden.

Photo by Holger Dieterich | Gesellschaftsbilder.de

 

Hier geht es um inklusive Medienbildung.

 

Eine Förderung der Medienkompetenz ermöglicht auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Medienbildung, also z.B. das Wissen darüber, wie ich Medien produzieren kann, muss inklusiv gestaltet sein. Dafür braucht es unter anderem barrierearme Veranstaltungsformate, die medienpädagogisches Wissen vermitteln und Zugänge schaffen. Über Medienkompetenzen zu verfügen, ermöglicht z.B. sich selbstbestimmt Wissen anzueignen und auf Medienformate zurückzugreifen, die für die eigene Person barrierefrei wahrnehmbar sind. Und: Nur mit Medienkompetenzen ist auch eine Teilhabe in Medien selbstbestimmt möglich. Durch inklusive Medienarbeit werden zudem gemeinsame Erfahrungs-, Handlungs- und Kommunikationsräume geschaffen, von denen alle Teilnehmenden profitieren können. 

Behinderungen
sind kontextabhängig

Photo by Ali Hegazy on Unsplash

Ein Beispiel: Beim Radiohören ist es nicht relevant, ob eine Person blind ist. In dieser Situation liegt keine Behinderung vor. Beim Fernsehen hingegen kann eine Behinderung entstehen, z.B. wenn die Sendung ohne Audiodeskription (Hörfilmfassung) ausgestrahlt wird. Dann fehlen der Person die Informationen, die aus den Bildern gewonnen werden. Damit entsteht eine Behinderung in der Bereitstellung umfassender Information. Daran wird deutlich: Behinderungen sind vielfältig und vom Kontext abhängig. Behinderungen sind nicht stetig.

Die Universität Kiel unterscheidet sieben unterschiedliche Ebenen von Beeinträchtigungen. Personen können unterschiedlich und mehrfach betroffen sein.

Mobilitätsbeeinträchtigung

Sehbeeinträchtigung

Beeinträchtigung der Sprachfähigkeit

Hörbeeinträchtigung

Chronische physische Erkrankungen

Psychische Erkrankungen

Teilleistungsschwächen

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