Antisemitismus
Bild und Ton
Antisemitismus und Medien
Kontroverse mediale Diskussionen über den antisemitischen Gehalt von z.B. Artikeln, Karikaturen oder Rap-Texten zeigen, dass antisemitische Denkmuster bisweilen schwierig zu erkennen sind. Auf dieser Seite geben wir Hilfestellungen, um die spezifische Funktionsweise von Antisemitismus in der Bildsprache zu verstehen, stereotype Mediennutzung zu vermeiden und geben Beispiele für ermächtigende Darstellungen jüdischer Menschen in den Medien.
Antisemitismus in der Bildsprache
Karikaturen
Die bekannteste Debatte um antisemitische Darstellungen sind – auch aktuell – immer wieder Karikaturen. Viel Aufsehen haben zum Beispiel Darstellungen auf der Dokumenta 15 (2022) erzeugt, die Figuren mit jüdischen Symbolen, wie Schläfenlocken und Davidstern und gleichzeitig mit Raffzähnen und Schweinegesichtern gezeigt haben.
Entmenschlichende Darstellungen von Jüd:innen sind jedoch nichts Neues: An und in vielen Kirchen finden wir die sogenannten „Judensäue“, demütigende antisemitische Abbildungen von Jüd:innen, wie sie von Schweinezitzen trinken. Später ist dieses Motiv auch in religiösen Drucken und als politische Karikatur zu finden. Im 19. Jahrhundert wurden dann auch andere antisemitische Karikatur-Motive beliebt. Jüd:innen werden dabei immer als raffgierig bzw. heimliche Weltbeherrscher:innen dargestellt. Zum Beispiel als Kraken, Puppenspieler:innen oder andere auf der Weltkugel stehende oder sie umklammernde negativ konnotierte Figuren. Oft mit tiefliegenden oder blutunterlaufenden Augen, Raffzähnen oder anderen Symboliken, um Gier und Unmenschlichkeit darzustellen und häufig als Tiere oder mit tierischen Merkmalen (Vgl. Antisemitische Karikaturen und Cartoons, Politik Lernen, Johannes Valentin Schwarz).
Auch die Süddeutsche Zeitung gerät immer wieder mit ihren Karikaturen in die Kritik antisemitische Bildsprache zu verwenden.
Beispiel: Süddeutsche Zeitung
Die Süddeutsche Zeitung ist immer wieder in der Kritik für ihre Karikaturen jüdischer Menschen. Es ist wichtig zu wissen, wann wir als Medienschaffende Gefahr laufen unbewusst Stereotype zu bedienen.
2014 | Die Süddeutsche Zeitung bringt eine Karikatur von Burkhard Mohr heraus, die den Gründer von Facebook, Mark Zuckerberg als Krake abbildet, die die ganze Welt regiert, beeinflusst und unter ihrer Macht hat. Auch wenn Mark Zuckerberg nicht jüdisch wäre, ist die bildliche Verwendung der Krake, welche die Welt beherrscht, immer mit Antisemitismus und dem NS verbunden (Vgl. Artikel im Tagesspiegel, 2014). Eine sehr bekannte antisemitische Karikatur, die sich dem Bild der Krake bedient, ist z.B. die von Josef Plank (1938):
Karikatur von Josef Plank (1938)
„An octopus with a Star of David over its head has its tentacles encompassing a globe.“ – Urherber:innenrecht liegt bei United States Holocaust Memorial Museum courtesy of Library of Congress
2018 | Die Süddeutsche Zeitung druckt eine Karikatur, die den Premierminister Benjamin Netanjahu als die Euro-Vision-Song-Contest-Gewinnerin Netta darstellt. Die Darstellung folgt antisemitischen Stereotypen. Netanjahu wird als extrem aggressiv und gleichzeitig als verweiblichter Mann dargestellt: Dies sei „ein zentrales antisemitisches Motiv, indem Juden zugleich extreme Macht und Machtlosigkeit unterstellt wird“ (Vgl. Salzborn zit. n. Artikel im Tagesspiegel, 2018).
2022 | Die Süddeutsche Zeitung veröffentlich eine Karikatur des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als „Strippenzieher“ des Weltwirtschaftsforums. Den bekannten jüdischen Politiker Selenskyj in beherrschender Übergröße über einem weltweiten Wirtschaftsgremium zu zeigen, spielt sehr stark in die antisemitischen Bilder von ökonomischer Raffgier und Weltherrschaft (Vgl. z.B. Artikel in der Jüdischen Allgemeine, 2022).
Fotografien
Welche stereotype Norm wird abgebildet?
Wenn wir als Medienmacher:innen Beiträge zu oder über Jüd:innen produzieren, wollen wir anhand von Bildern zeigen, um wen es geht. Dabei werden allerdings schnell Stereotype reproduziert. Einige Beispiele von stereotypen Darstellungen haben wir im Folgenden aufgeführt, hier findest du auch Tipps wie du diese Norm dekonstruieren kannst:
Häufig werden Beiträge über Jüd:innen oder zu jüdischen Themen mit Fotos von jüdischen Männern mit Kippa (oder anderer religiöser Kleidung) bebildert.
Das ist aus verschiedenen Gründen problematisch: Zum einen wird so immer wieder der jüdische Mann als jüdische Norm gesetzt und jüdische Frauen bleiben nicht-existent. Zum anderen ist ein klassisches Merkmal jüdischer Realität, dass die meisten Jüd:innen nicht unter den stereotypen Darstellungen erkennbar sind. Ausschließlich markierte Jüd:innen zu zeigen verschiebt also diese Realität und schafft eine Kultur in der erwartet wird, dass Jüd:innen immer erkennbar sind oder sein müssen. Außerdem werden auf diese Weise auch ausschließlich religiöse Jüd:innen gezeigt, womit fälschlicherweise die Annahme verfestigt wird, alle Jüd:innen seien religiös.
Dekonstruiere die Norm: Trau dich ruhig mal Jüd:innen ohne oder zumindest mit subtileren und genderneutralen Markern, wie einer Kette, darzustellen.
Ob Jüd:innen weiß sein können oder nicht ist eine Debatte für sich. Jüd:innen werden jedenfalls meistens weiß (oder white passing) und aschkenasisch abgebildet. Das nennt sich Aschkenormativität. Dies ist allerdings eine Reproduktion bestimmter Bilder, welche meist von weißen (white passing) aschkenasischen Jüd:innen geprägt ist.
Übrigens wird aschkenasisch und weiß (white passing) gerne synonym genutzt, allerdings bezieht sich aschkenasisch auf den jüdischen Kulturkontext (siehe Sprache). Also können damit selbstverständlich auch Schwarze aschkenasische Jüd:innen oder aschkenasische Jüd:innen of Color gemeint sein.
Dekontruiere die Norm: Bilde auch Schwarze Jüd:innen und Jüd:innen of Color ab.
Jüd:innen, die bestimmte Merkmale erfüllen oder bestimmte Dinge tun, damit sie „jüdisch wirken“.
Im Rahmen des Festjahres zu „1700 Jahren jüdisches Leben in Deutschland“ haben viele Städte ihre Innenstädte und Verkehrsmittel mit Zeichnungen zu jüdischem Leben geschmückt. Das Problem war oft: Die kleinen Figürchen sollten als jüdisch erkennbar sein und haben deswegen Streichinstrumente in die Hand gedrückt bekommen, Challa gebacken oder andere vermeintlich „typisch jüdische“ Dinge getan. Markierungen sind schnell reproduzierte Stereotype und damit allerdings antisemitisch. Der jüdische Klezmer-Musiker ist ein genauso antisemitisches Klischee, wie die Vorstellung alle Juden tragen Kippa, Hut und Schläfenlocken.
Dekonstruiere die Norm: Statt durch Markierungen „typisch jüdische“ Dinge abzubilden, versuche – anhand des obigen Beispiels – jüdische Künstler:innen zu unterstützen.
Antisemitismus in Bildern erkennen!
Bilder können antisemitisch sein, wenn..
- Jüd:innen durch antisemitische Zuschreibungen (wie z.B. betrügerisch, geschäftstüchtig oder besonders mächtig) charakterisiert werden.
- zur Charakterisierung von Jüd:innen auf vermeintliche phänotypische Merkmale zurückgegriffen wird, die auf eine rassistische Charakterisierung abstellen (wie z.B. Hakennase, wulstige Lippen).
- diese vermeintlichen optischen wie charakterlichen Merkmale genutzt werden, um den Kapitalismus zu visualisieren.
- grundlos Stereotype bedient werden (z.B. Streichinstrumente, Schläfenlocken und Hut).
- Jüd:innen immer gleich dargestellt werden (z.B. immer Männer mit Kippa, immer ultra-orthodox).
- bestimmte Bildstimmungen erzeugt werden, nur weil Jüd:innen zu sehen sind (immer dunkler Hintergrund, melancholisches Licht, traurige/schwermütige Inszenierung).
Antisemitismus und jüdische
Repräsentation in Film und Fernsehen
„Lange […] gaben jüdische Filmfiguren eher Einblick in das Bild der Deutschen von sich selbst und in ihre Sehnsüchte als in das tatsächliche Leben von Jüdinnen und Juden.“
Lea Wohl von Haselberg, Medienwissenschaftlerin mit Fokus deutsch-jüdische Themen und Erinnerungskultur
Film und Fernsehen können Narrative stark beeinflussen – besonders Serien haben eine starke Wirkung auf Pop- und somit Gegenwartskultur. Mit Blick auf Antisemitismus und die Rollen die Jüd:innen hier zugewiesen werden, müssen wir den deutschen und den US-amerikanischen Kontext klar unterscheiden:
In deutschen Filmen und Serien werden Jüd:innen meist nur in zwei Rollen gezeigt: Als Opfer der Schoa oder als religiöse Exoten. Die Darstellungen werden von Jüd:innen oft als eindimensional, wenig selbstbestimmt oder modern kritisiert (Beispiel: In NS-Dramen werden jüdische Hauptfiguren immer in einem sexuellen oder Liebesverhältnis mit einer deutschen nicht-jüdischen Person dargestellt). Die Verengung jüdischer Realität auf die Schoa oder religiöse Praxis verstehen viele Jüd:innen als antisemitische Stereotypisierung.
In US-amerikanischen Formaten tauchen Jüd:innen sehr viel selbstverständlicher auf, sie sind nicht zwingend religiös, schon gar nicht zwingend ultra-orthodox, aber auch hier finden wir eine starke Stereotypisierung jüdischer Charaktere: Jüdische Frauen und Mädchen werden in der Regel als „over the top“, „Overachiever:innen“, latent neurotisch und mit Leistungsproblemen dargestellt. Jüdische Männer werden hingegen entweder schwul oder mit einem zu engen Verhältnis zu ihren Müttern gezeigt. In den USA gibt es popkulturell gleichzeitig eine starke Fetischisierung jüdischer Männer und bestimmten Teilen jüdischer Kultur (z.B. Jiddisch).
Hinzu kommt: Wissen über jüdische Kultur, Kunst und Leben wurde in der NS-Zeit nicht nur bekämpft und ausgelöscht, es bildet auch noch heute eine Leerstelle. Auch in deutschen Schulen lernen Kinder nur die Geschichte von jüdischen Menschen als Opfer. Deshalb ist es wichtig jüdische Stimmen, Errungenschaften, ihre vielfältigen Lebensformen und -entwürfe auch in den Medien zu kennen und zu repräsentieren.
Dazu trägt auch ein Forschungsprojekt der Medienwissenschaftlerin Lea Wohl von Haselberg bei. Die Forschenden untersuchen unter dem Titel „Zwischen Erinnerungskultur und Antisemitismus: Selbstbeschreibung und Erfahrung jüdischer Filmschaffender“ die Arbeitsbiografien jüdischer Filmschaffender, die in der BRD gearbeitet haben. (Weiterführende Links: Interview mit Lea Wohl von Haselberg zum Forschungsprojekt, Artikel von Lea Wohl von Haselberg „Jüdisches Leben im deutschen Spielfilm nach 1945″
„Es ist immer wieder spannend zu sehen, wie viele Aspekte von Geschichte, in diesem Fall Filmgeschichte, noch nicht geschrieben sind.
Lea Wohl von Haselberg, Medienwissenschaftlerin mit Fokus deutsch-jüdische Themen und Erinnerungskultur
Selbstbestimmte
jüdische Selbstdarstellung
Ein Beispiel selbstbestimmter jüdischer Selbstdarstellung im Fernsehen, welches in vielen jüdischen Zusammenhängen für Begeisterung gesorgt hat, ist das Talk-Format „Freitagnacht Jews mit Daniel Donskoy“ im WDR. Donskoy unterhält sich in der ersten Staffel in entspannter Atmosphäre mit unterschiedlichen jüdischen Gesprächspartner:innen über jüdische Themen, jüdischen Alltag, jüdische Realität. In der zweiten Staffel reist Donskoy an verschiedene Ort, um dort auch die Lebenswelten von Jüd:innen außerhalb Deutschlands aufzugreifen.
Kurzportrait: Getrude Berg
Die jüdische Wegbereiterin für Frauen im Fernsehen
Gertrude Berg wurde in New York 1899 geboren. Ihre Eltern waren jüdische Migrant:innen aus Europa. Sie war eine der ersten Frauen, die in einer langjährigen Radio und TV-Serie mitwirkte. Diese erzähle die Geschichte von jüdischen Migrant:innen in den USA. Eine Show über das Leben einer armen jüdischen Familie, die in der Bronx, New York lebt. 1929 wurde die erste Episode von „The Rise of the Goldbergs“ auf NBC Radio ausgestrahlt. Darin spielte Berg die Rolle der liebenden jüdischen Mutter Molly Goldberg mit einem jiddischen Akzent. Die Serie „The Goldbergs“ war im Radio und im Fernsehen über drei Jahrzehnte hinweg zu sehen. Die Serie beschäftigte sich mit Themen wie Familie und Assimilation, sowie der Machtübernahme von Hitler und der Verfolgung während des 2. Weltkrieges. Goldberg ebnete den Weg für Frauen im Fernsehen und beeinflusste das Genre „Sitcoms“.
Empowerment
durch Satire und Selbstermächtigung
Im Rahmen der Radikalen Jüdischen Kulturtage im Studio Я des Gorki Theaters in Berlin wurden vier kurze satirische Nachrichtenepisoden produziert. Die Episoden bedienen sich Vorurteilen, Zuschreibungen und Stereotypen über Jüd:innen und parodieren diese durch Übertreibung und klischeehafte Darstellungen. Ziel hierbei ist es die Selbstermächtigung der Einzelnen zu stärken.
Antisemitismus hören,
Jüdische Identität in der Musik
Antisemitismus lässt sich nicht nur über Sprache und Bilder transportieren, sondern auch über die Tonebene. Das fängt nicht erst bei antisemitischen Songtexten, wie denen von Xavier Naidoo an, sondern bereits dabei welche Vorstellungen und Stimmungen wir vermitteln, wenn wir Jüd:innen oder Judentümer thematisieren.
Im Folgenden findest du zwei Beispiele dafür, wie Antisemtismus auf Tonebene reproduziert wird und was du dem bei deiner Medienproduktion beachten kannst:
Oft werden Darstellungen von Jüd:innen oder Beiträge über jüdische Themen mit Klezmer unterlegt. Das ist ein klassisches Stereotyp zu jüdischem Leben und ein Teil von Aschkenormativität.
Verwende Klezmer nur wenn es wirklich Sinn macht. Frage dich: Spielt die Person, die gezeigt wird wirklich Klezmer? Geht es in dem Beitrag um Klezmer?
Oft werden Beiträge, Interwievs oder Dokus über Jüd:innen oder zu jüdischen Themen mit besonders trauriger oder düsterer Musik und schwermütigen Tönen unterlegt. Damit bekommt jüdische Realität oft den Charakter von Schauermärchen oder Seifenopern.
Überlege, ob das wirklich notwendig ist oder ob der Inhalt auch für sich stehen kann. Denk darüber nach, ob Du mit der gewählten Musik oder der tonalen Untermalung das Stereotyp stärkst, dass alles jüdische besonders schwermütig, traurig oder düster ist.
Antisemitismus macht auch vor Hip-Hop und Rap keinen halt. Beide Genres haben eine sehr große mediale Reichweite und Einfluss auf Jugendliche und junge Erwachsene. Entstanden in den USA, ging es bei Rap und Hip-Hop auch immer um Empowerment und antirassistischen Widerstand. Gerade für Schwarze Menschen sind sie Mittel und Ausdruck gegen Unterdrückung, Repressionen, Rassismus und Armut. Gleichzeitig kommt es im Hip-Hop und Rap auch immer wieder zu diskriminierender Sprache, Bildern und Inhalten. So enthalten manche Texte auch antisemitische Vorurteile und Welterklärungsmuster. So z.B. die Debatte 2017 um Kollegah und Farid Bang in Deutschland.
Auch wenn Rap oft über Provokationen, Tabubrüche, Witze oder „Dissen“ funktioniert, ist Antisemitismus kein legitimes Mittel um anzuecken. Hier zeigt sich vielmehr die gesamtgesellschaftliche Verbreitung und Akzeptanz von antisemitischen Denkmustern. Daher ist es auch für Medienschaffende wichtig hierfür einen kritischen Blick zu entwickeln.
Die Rapper:in Sookee hatte sich zur Aufgabe gemacht dagegen zu halten: Sookee setzt sich differenziert mit Antisemitismus und den Auswirkungen von Antisemitischen Strukturen in der Gesellschaft im Form von Rap auseinander. Sookee versucht durch ihren Rap gesellschaftliche Versänderungen zu bewirken. Als Role Model für Frauen und Queere Menschen in einer maskulinen Hip-Hop Szene setzen sich ihre Texte kritisch mit Sexismus, Antifaschismus, Rassismus und Antisemitismus auseinander. Sie definiert sich selbst als Aktivistin und versucht ihren Bekanntheitsgrad für soziales Engagement einzusetzen. Mittlerweile ist Sookee unter dem Namen Sukini bekannt und bereitet gesellschaftliche Themen kindgerecht auf.
Reflexions-Übung
"Bilderbücher Konferenz"
1. Höre dir den Song „Bilderbücher Konferenz“ von Sookee an.
Frage dich: Worüber rappt Sie? Was fällt dir auf? Wie verbindest du die Inhalte mit Antisemitismus? Worauf will sie mit ihren Anspielungen hinaus? Was empfindest du dabei?
Schreibe dir auch deine Fragen und Irritationen auf.
2. Schaue dir im Anschluss das Interview von Sookee mit dem jüdischen Forum über ihren Song an. Dort erklärt sie ihre Beweggründe und Intentionen.
Du kannst deine Überlegungen mit ihren vergleichen und mehr über antisemitische Tendenzen innerhalb des deutschsprachigen Rap erfahren.
Zum Reinhören!
Musik
Es gibt auch einige jüdische Musiker:innen, die sich mit antisemitischen Phänomenen auf Tonebene beschäftigen und genau deshalb beispielsweise selbstermächtigenden modernen Klezmer machen. So zum Beispiel Daniel Kahn and the Painted Bird, eine international besetzte Band, welche eine moderne Mischung aus Klezmer, Folk und Punk spielen. Vielleicht ist dies eine gute alternative für deine Medienproduktion? Hör doch mal rein!
Podcast
»Trauer & Turnschuh« ist ein Erinnerungspodcast. Oder wie die Moderator:innen es nennen: die emotionale Afterhour der Vergangenheit. Hadija Haruna-Oelker und Max Czollek reden jeden Monat darüber, was aus unserer Vergangenheit vergessen und verdrängt wurde und was das mit unserer Gesellschaft macht. Klar, eine happy Erzählung wird das nicht. Lässt sich aber trotzdem locker drüber reden. Trauer & Turnschuh eben. Und wer weiß, wenn wir herausfinden, was unsere Vergangenheit mit unserer Gegenwart macht, wird es morgen vielleicht sogar besser. Yalla, Kadima, Andale. Packen wir es an!
Erinnerungskultur
Geschichte und Verantwortung im Film
Die mediale Repräsentation der Shoa – insbesondere im Film – beeinflusst, manifestiert und spiegelt, wie wir uns erinnern. Dabei stellt sich immer folgende Frage: Wie können wir mit diesen menschenverachtenden, schmerzhaften und beispiellosen Geschichten medial umgehen? Anhand von drei Filmen/Serien (Holocaust, Shoah und Hunters) stellen wir unterschiedliche Strategien des filmischen Umgangs mit Antisemitismus, der NS-Zeit, Erinnerung und Schmerz vor. Der Umgang mit Orten, Zeug:innen und Originalmaterialien ist hier besonders relevant. Als Medienschaffende ist es wichtig, eine Haltung zu diesen Themen zu entwickeln.
"Holocaust – Die Geschichte der
Familie Weiss" (Mini-Serie, 1978)
Die TV-Mini Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ ist 1978 in den USA entstanden. Regie führte der US-amerikanischen Filmregisseur Marvin J. Chomsky. Die Serie ist in vier Teile gegliedert und erzählt die Geschichte einer fiktiven Arztfamilie. Damit wurde zum ersten Mal die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Jüd:innen im nationalsozialistischen Deutschland im Fernsehen thematisiert. Die Familie Weiss wird wegen der Ehe des jüdischen Karl Weiss und der nicht-jüdischen Inga Helms verfolgt und durch die Nürnberger „Rassengesetze“ verurteilt. Im Verlauf der Serie wird das Fortschreiten der brutalen deutschen NS-Geschichte und der damit einhergehenden grausamen Verfolgung dargestellt. Wir sehen Bilder von der Progromnacht am 9. November 1938, dem Konzentrationslager Buchenwald, Deportationen nach Polen, Euthanasie-Programmen und andere Aufnahmen, die noch nie so im Fernsehen gezeigt wurden.
Echte Geschichte(n) nachstellen, um das Unvorstellbare vorstellbar zu machen. Die Serie Holocaust wurde in Deutschland und Österreich gedreht. Das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde im Konzentrationslager Mauthause in Österreich nachgestellt. Die Szenen der Tötungsanstalt Hademar in Mittelhessen entstanden am Originalstandort. Der Berliner Stadtteil Wedding wurde für das Warschauer Ghetto verwendet. Außerdem werden in der Serie erstmals Original-Dokumentaraufnahmen aus der Nazi-Zeit verwendet. Um die fiktive Geschichte der Familie Weiss zu konstruieren, zog das Produktionsteam in den USA jüdische Exilant:innen zu Rate.
Kritik von Elie Wiesel – ein jüdischer Holocaust-Überlebender und Nobel-Preisträger in der New York Times: „Der Film versucht, das darzustellen, was sich selbst der Vorstellungskraft entzieht. Er verwandelt ein ontologisches Ereignis in eine Seifen-Oper. […] Aber der Holocaust ist einzigartig, nicht nur irgendein Ereignis. Diese Serie behandelt den Holocaust, als wäre er nur irgendein Ereignis. So bin ich gegen diesen Film, nicht, weil er künstlerisch nicht in Ordnung ist, sondern weil er nicht authentisch genug ist. Er entfernt uns von dem Ereignis, anstatt uns ihm näherzubringen […] Auschwitz kann nicht erklärt, noch kann es sichtbar gemacht werden. Ob Gipfelpunkt oder Zerrbild der Geschichte, der Holocaust transzendiert Geschichte. […] Der Holocaust muß uns in Erinnerung bleiben. Aber nicht als eine Show.“
Quelle: Wiesel, E. (1979). Die Trivialisierung des Holocaust: Halb Faktum und halb Fiktion. In P. Märthesheimer & I. Frenzel (Hrsg.), Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm ‚Holocaust‘. Eine Nation ist betroffen. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag.
Hier findest du weitere Kritiken:
Marek, M. (2009). Die US-Serie „Holocaust“, Deutsche Welle.
Fetscher, C. (2019). Fernsehklassiker „Holocaust“ Späte Katharsis, Der Tagesspiegel.
Krauss, M. (2019). Ich war die Zielgruppe. Warum dieses Land die Serie »Holocaust« brauchte. Eine persönliche Rückschau, Jüdische Allgemeine.
Die Serie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ hatte in Westdeutschland und Österreich Einschaltquoten von knapp 40 Prozent. Zehntausende Zuschauende riefen nächtlich bei den Fernsehsendern an. Die Sender erhielten bergeweise Zuschauer:innenpost, die später auch die Wissenschaft beschäftigten.
In deutschen Familien wurden auf einmal unbequeme Fragen gestellt: Was hat unser Großvater in der NS-Zeit gemacht? Was habt ihr von der Ermordung der Juden gewusst? Warum habt ihr den jüdischen Nachbar:innen nicht geholfen?
„Die Holocaust-Sendungen haben es geschafft, dass ein ganzes Volk sich plötzlich und höchst schmerzhaft seiner eigenen Geschichte erinnerte.“ (Hammerstein, 2019, mehr dazu im Artikel der bpb)
"Shoah" (Film, 1985)
Claude Lanzmann, französischer jüdischer Filmemacher, Journalist, Widerstandskämpfer und Philosoph kreierte 1985 den Film Shoah. Der Film wurde großenteils in Polen gedreht. Wir sehen in den neun Stunden Filmmaterial viele Interviews und Aufnahmen von den Vernichtungslagern, in die jüdischen Menschen deportiert wurden: Treblinka, Sobibor, Auschwitz, Chelmno und Warschau. Es ist ein Film über Erinnerung, den Umgang mit der Vergangenheit und ein schonungsloser Blick in die Systematik und die Funktionäre der Konzentrations- und Vernichtungslager.
Hier könnt ihr im Artikel „Das Unnennbare bennen“ von Lanzmann selbst nachlesen, was er mit dem Film bewirken wollte.
Der Film ist seit 2022 dank der SvkH Archives in zwei Teilen und mit englischen Untertiteln auch online verfügbar: Shoah, Part 1 | Shoah, Part 2
Zeitzeug:innen vom Grauen berichten lassen statt es fiktiv nachzustellen.
Claude Lanzmann arbeitet insbesondere mit Interviews von Opfern und Täter:innen. Er verzichtete bewusst darauf die Verbrechen mit Originalbildmaterial zu belegen.„Ich habe einen Film gemacht, der eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit ist, denn sein Ausgangspunkt ist das Nichts. ›Shoah‹ ist insofern auch kein Dokumentarfilm, meine ich. Denn ein Dokumentarfilm zeigt Dinge, die da sind, aber in diesem Falle gab es nichts mehr, das abzufilmen gewesen wäre.“, heißt es in einem Videobeitrag, der 2018 anlässlich seines Todes im Ersten erschien. Die Interviews mit den Überlebenden und den Täter:innen funktionieren somit als Erinnerung an das Geschehen ohne auf Nachstellungen oder historische Bilder zurückgreifen zu müssen. Lanzmanns Herangehensweise ist für die Zeit außergewöhnlich und wird als „Revolutionierung der Filmkunst“ betitelt.
Mehr Hintergrundinformation zum Film, sowie weitere Filme von Lanzmann aus den für ›Shoah‹ nicht verwendeten Aufnahmen findet ihr hier.
„Claude Lanzmanns SHOAH ist nicht nur der anspruchsvollste Film, der jemals über die Judenvernichtung gedreht wurde, sondern auch ein Werk, das von dem alttestamentarischen Gebot, sich keine Abbilder zu schaffen, inspiriert gewesen sein könnte, so gewissenhaft geht der Film mit dem Problem der Darstellung um. […] Dieser Film wirft jeden auf sein eigenes Vermögen zurück. Er zwingt den Zuschauer, sich das Unvorstellbare vorzustellen. […] SHOAH lässt den Zuschauer erstarren, er überwältigt ihn, und schließlich – mit unendlicher Zartheit und Behutsamkeit, hinterlässt er bei ihm eine Verletzung, eine Narbe. Es gibt Augenblicke in diesem Film, in denen man es nicht mehr ertragen kann, einen anderen Menschen zu sehen; diese Momente muss man allein erleben. SHOAH lehrt uns die Bedeutung des Wortes ‚untröstlich‘.“
Quelle: Hoberman, J. (1985). SHOAH: Zeugnis der Vernichtung, The Village Voice, New York. In: 36. Internationale Filmfestspiele Berlin, Informationsblatt SHOAH, 16. internationales Forum des jungen Films Berlin 1986, S. 10–11.
Hier findest du weitere Kritiken:
Schultz, S. M. (2007). Shoah – Kritik, critic.de.
Gelbin, C. & Ufer, G. (2018). Shoah-Filmtage in Berlin, Wie das Undarstellbare darstellen? Deutschlandfunk Kultur (Podcast).
"Hunters" (Serie, 2020)
Die Serie Hunters kam 2020 in den USA heraus. Sie spielt im New York der 1970er Jahre und porträtiert eine Gruppe von sogenannten Nazijäger:innen. Die zehnteilige fiktive Serie soll eine Art der jüdischen Rache darstellen, obwohl nur zwei Personen des Hunters-Teams jüdisch sind. Die Idee zu der Serie kam von dem Enkel einer Holocaust-Überlebenden und Produzenten David Weil.
Das Unvorstellbare durch fiktive Geschichten vorstellbar machen.
Im Gegensatz zu dem Film Shoah und der Mini-Serie Holocaust bedient sich die Serie Hunters nachgestellter Bilder des Vernichtungslager Ausschwitz und nutzt hierfür fiktive Erzählungen. In vielen Rückblendsequenzen kommen Szenen aus der NS-Geschichte vor, die zum Teil fiktiv, aber auch auf wahrer Begebenheit seien. Die Serie arbeitet, durch die kindlichen Assoziationen des Creators David Weil inspiriert, viel mit Comic- und popkulturellen Action-Referenzen.
„Die Debatte darüber, ob der Holocaust und seine Folgen darstellbar sind, ist alt und wird aus gutem Grund immer wieder neu geführt, weil ihre Fragen abschließend ja nie beantwortbar sind. Hunters will gleichzeitig mit Zwinkerzwinker-Gestus lustige Action-Anekdoten aneinanderreihen und eine relevante Geschichte über Opfer erzählen, die ihre Traumata überwinden, indem sie selbst zu Tätern werden. Aber wer Trash-Ästhetik und den Holocaust zusammenführen will, muss schon sehr gute Argumente dafür vorbringen können. Die Macher von Hunters vermitteln nicht den Eindruck, sich darüber große Gedanken gemacht zu haben. Dieser lapidare Umgang der Serie mit einem der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte ist fahrlässig“.
Kaever, O. (2020). Wie Pulp Fiction im KZ, Der Spiegel
Hier findest du weitere Kritiken:
Jüdische Allgemeine (2020). Auschwitz Komitee kritisiert »Hunters«.
Schmieder, J. (2020). Amazon-Serie „Hunters“: Die beste Form der Rache? Rache!, Süddeutsche Zeitung Online.
Jungen, O. (2020). Amazon-Serie „Hunters“: Ist Rache die beste Rache?, Frankfurter Allgemein.
Mit Erinnerung umgehen
An den Film- und Serienbeispielen wird deutlich, dass es in filmischen Narrativen verschiedene Strategien gibt mit Erinnerung umzugehen, die jeweils unterschiedliche Reaktionen und Erinnerungen hervorrufen. Sowohl während dem Filmen als auch im Resultat. Wie gehst du mit deiner Verantwortung als Medienschaffende:r in Bezug auf Erinnerung um? Es ist wichtig hierzu eine Haltung zu entwickeln. Folgende Fragen können hilfreich sein, um dich für den Schmerz, die Traumata und deine Verantwortung in Bezug auf Erinnerung zu sensibilisieren:
- An wen richtest du dich? Wen sprichst du an? Sprichst du Betroffene an?
- Wer hat die Definitionsmacht darüber, wie erinnert wird? Werden die Perspektiven und Anliegen Betroffener gehört, respektiert und angenommen?
- Wie gehst du mit Orten der Erinnerung um? Zeigst du sie? Wenn ja, wie?
- Wie gehst du mit Originalmaterial um? Was zeigst du/ was zeigst du nicht?
- Wer spricht und wird gehört? Aus welchen Perspektiven ist deine Produktion gemacht? Sind Betroffene "nur" Zeug:innen? Tauchen auch Täter:innen auf?
- Welche Emotionen und Traumata löst du bei Betroffenen aus?
- Welche Emotionen willst du bei den Betrachtenden hervorrufen?
Schaue dir dieses 3-minütige Video „Die Nacht, die Namen“ an. Es zeigt eine Spoken-Words-Performance von Tanasgol Sabbagh, begleitet von Drummer:in Linda-Philomène Tsoungui. In der Performance wird ein emotionaler Raum geschaffen und aus Betroffenenperspektive an die neun Opfer des rassistischen, rechtsterroristischen Anschlags in Hanau 2020 erinnert.
Übung:
Transferaufgabe
Stelle dir vor du hast den Auftrag eine filmische Reportage über sexualisierte Gewalt zu machen. Beantworte die oben genannten Fragen in Bezug auf deinen Auftrag.
Wie würdest du bei diesem Thema entscheiden?
Was wäre grenzüberschreitend?