Antisemitismus
Kurztipps
Begriffsklärung
Antisemitismus „bezeichnet Einstellungen, Äußerungen und Handlungen, die sich – direkt oder indirekt – gegen (vermeintlich) Jüdische Menschen, Institutionen und Einrichtungen richten. Antisemitismus hat unterschiedliche Erscheinungsformen und funktioniert unabhängig vom Verhalten Jüdischer Menschen; er ist eine Projektion derjenigen, die antisemitisch eingestellt sind. Im antisemitischen Weltbild wird »den Juden« die Verantwortung für gesellschaftliche Probleme, Konflikte und Ängste zugeschoben.“
Auch eigene Wünsche (z.B. Macht, Geld), die möglicherweise selbst nicht verwirklicht werden können, können auf das Feindbild der Jüd:innen übertragen werden. Jüd:innen werden dann dafür gehasst, dass sie diese Wünsche vermeintlich verwirklichen können und daran schuld seien, dass die anderen Menschen diese Wünsche nicht erfüllen können.
„Einige Jüd:innen lehnen den Begriff »Antisemitismus« ab, weil er zum einen durch Antisemiten als stolze Selbstbezeichnung populär wurde, zum anderen, weil das Konzept der »Semiten« an sich schon anti-jüdisch und rassistisch ist. Deswegen verwenden diese Jüd:innen Alternativen wie »Jüd:innenhass«, »Jüd:innenfeindlichkeit« oder »Risches«, das jiddische Wort für Antisemitismus.“, ergänzt Debora Antmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Jüdischen Museum Berlin, politische Bildnerin, Autorin und Kolumnistin.
Quellen: Antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit – Ein Glossar der Antonio Amadeu Stiftung
vgl. auch Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert – Artikel des bpb
Die Frage danach, wer jüdisch ist, ist auch innerhalb jüdischer Diskussionen eine sehr komplexe Debatte. In Deutschland gibt es – auch unter nicht-jüdischen Menschen – eine sehr starke Fokussierung auf das jüdische Religionsgesetzt – die Halacha. Dies hat in der Bundesrepublik ein sehr orthodox-religiöses Verständnis von Jüdisch-Sein zur Folge. Die Halacha definiert Menschen mit einer jüdischen Mutter als jüdisch. Im Alltag vieler Jüd:innen spielt jedoch Sozialisation eine viel größere Rolle. In den meisten Ländern außer Deutschland, gelten deswegen aus einer kulturellen Perspektive heraus auch Jüd:innen mit einem jüdischen Vater als jüdisch. Denn: nicht alle Jüd:innen sind religiös, verstehen sich aber trotzdem als Teil einer jüdischen Gemeinschaft. So ist Judentum auch in Deutschland für viele Jüd:innen eher eine kulturelle Identität, statt eine religiöse Zugehörigkeit.
Quelle: Jüdischer Feminismus 101 – Debora Antmann, 2017
Oft nehmen wir gar nicht wahr, dass Dinge, die für uns selbstverständlich sind, deswegen noch lange nicht „neutral“ sind. Zum Beispiel, dass die meisten von uns sonntags frei haben oder in welchem Jahr wir uns befinden. All diese Dinge sind Teil christlicher Dominanzkultur. So weiß zum Beispiel jede jüdische Person, welches Jahr es nach christlicher Zeitrechnung ist, weil sie gemeinhin als „DER“ Kalender verstanden wird, während die wenigsten nicht-jüdischen Menschen aus dem Stehgreif wüssten, in welchem Jahr wir uns nach jüdischer Zeitrechnung befinden.
Dominanzkultur hat zur Folge, dass alles, was nicht dieser Kultur entspricht zum „Anderen“ oft sogar zum „Fremden“ gemacht wird. So erleben auch viele Jüd:innen ihren Alltag. Während christlich sozialisierte Menschen selbstverständlich an Weihnachten nach Hause fahren oder zu Ostern Schokoladen-Eier naschen, wird jede Ausübung jüdischer Kultur als religiöser Akt interpretiert. Es gibt nicht das gleiche Verständnis von Normalität, sondern wird automatisch zum bedeutungsaufgeladenen Ritus. Das wäre, als würde man automatisch annehmen, jede Person, die Weihnachten feiert oder den Ohrwurm von einem Weihnachtslied hat, sei strenggläubige:r, praktizierende:r Christ:in.
Noch etwas anderes wird an dem Beispiel Feiertage deutlich: Dominanzkultur versteht alles nur in Relation zu sich selbst. So wird Hanukka plötzlich zum jüdischen Weihnachten und Pessach ist wie Ostern.
Es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass niemand neutral in der Welt steht. Sondern: je „neutraler“ wir uns fühlen, desto wahrscheinlicher sind wir Teil der normalisierten Dominanzkultur und desto schneller laufen wir Gefahr in Form von Mikroaggressionen Andere zu „othern“ – so zum Beispiel Jüd:innen.
Quelle: Debora Antmann – für Diversify!
Holocaust (aus altgriech. ὁλόκαυστος holókaustos, deutsch vollständig verbrannt) bezeichnet die systematische, massenhafte Ermordung von circa sechs Millionen Jüd:innen und anderen Minderheiten durch die Nationalsozialist:innen zwischen 1933-1945. Eingeführt wurde der Begriff 1979 als Titel der amerikanischen Fernsehserie „Holocaust– Die Geschichte der Familie Weiß“, die auch in Deutschland sehr populär war. Daraufhin übernahmen deutsche Politiker:innen diesen Begriff z.B. im Deutschen Bundestag. Vorher wurde vom „Völkermord an den europäischen Juden“ gesprochen.
Manche Jüd:innen lehnen das Wort „Holocaust“, als Begriff für den Versuch der systematischen Vernichtung jüdischen Lebens, ab.
Für die Ermordung von Jüd:innen während des Nationalsozialismus bevorzugen sie das hebräische Wort „Schoa/Shoa“. Der Begriff existierte schon vor dem Versuch der systematischen Vernichtung von Jüd:innen in der NS-Zeit.
Bis heute gibt es keinen eigenen deutschen Begriff für diesen historischen Massenmord.
Quellen: Neue Deutsche Medienmacher:innen; Glossar Jüdische Allgemeine; Politische Bildung Brandenburg
Antisemitismus
in Wort und Bild erkennen!
Wann sind Aussagen antisemitisch?
Wenn...
- Jüd:innen stereotype oder verallgemeinernde Eigenschaften zugeschrieben werden
- der Holocaust geleugnet oder relativiert wird
-
eine Täter:innen-Opfer-Umkehr stattfindet
(wie z.B. mit dem Begriff der „Auschwitzkeule“) - für ein Ende der Erinnerungskultur plädiert wird
- das Existenzrecht Israels geleugnet wird
- die israelische Politik mit dem Nationalsozialismus verglichen und/ oder gleichgesetzt wird
- antisemitische Codes zur Bezeichnung für Jüd:innen genutzt werden (z.B. „Ostküstenlobby“, „Rothschilds“ oder „Rockefellers“)
- "Jude" als Schimpfwort verwendet wird
- beurteilt wird, wie "jüdisch/unjüdisch" eine Person aussieht
- ganz selbstverständlich private Fragen über die Familie von Jüd:innen (z.B. Überleben der Familie während des NS oder andere Familienverhältnisse) gestellt werden
- Jüd:innen und Israelis nicht unterschieden bzw. alle Jüd:innen mit Israel in Verbindung gebracht werden
- Aussagen selbstverständlich mit #Religion verschlagwortet werden, selbst wenn Jüd:innen über andere Aspekte sprechen
Wann sind Bilder antisemitisch?
Wenn...
- Jüd:innen durch antisemitische Zuschreibungen (wie z.B. listig, betrügerisch, geschäftstüchtig oder besonders mächtig) charakterisiert werden
- zur Charakterisierung von Jüd:innen auf vermeintliche phänotypische Merkmale zurückgegriffen wird, die auf eine rassistische Charakterisierung abstellen (wie z.B. Hakennase, wulstige Lippen)
- diese vermeintlichen optischen wie charakterlichen Merkmale genutzt werden, um den Kapitalismus zu visualisieren
- grundlos Stereotype bedient werden (z.B. Streichinstrumente, Schläfenlocken und Hut)
- Jüd:innen immer gleich dargestellt werden (z.B. immer Männer mit Kippa, immer ultra-orthodox)
- bestimmte Bildstimmungen erzeugt werden, nur weil Jüd:innen zu sehen sind (dunkler Hintergrund, schwarz-weiß Bilder, melancholisches Licht, traurige/schwermütige Inszenierung)
Verschwörungsdenken erkennen!
- Verschwörungstheorien arbeiten/argumentieren oft mit geheimen Tatsachen. Daher sei besonders aufmerksam bei Medien, die mit geheimnisvollen oder im Verborgenden ausgetragenen jüdischen Machenschaften argumentieren.
- Achte insbesondere auf zu leichte Erklärungen der Welt, die alles in gut und böse einteilen und jüdische Menschen für alles schuldig machen.
- Sei dir bewusst, dass es in der Welt viele Widersprüchlichkeiten gibt. Wer vorgibt alles erklären zu können und bei unlogischen Sachen einfach mit "jüdischen dunklen Mächten" argumentiert, ist im jeden Fall Anhänger:in eine Verschwörungsfantasie.
- Achte auch auf die wissenschaftliche Erkenntnisse der vorgelegten Argumente - oft basieren Verschwörungsaussagen auf Scheinwissenschaften, die seriösen Forschungen widersprechen (siehe Klimawandel).
- Verschwörungstheorien arbeiten oft mit dem Thema Manipulation und dem Bild der jüdischen Strippenzieher. Sie wollen stets unter Beweis stellen, dass böse jüdische Mächte die Welt im Hintergrund kontrollieren. Hier solltest du genauer hinschauen!
Downloads
Wie kann ich Antisemitismus in meiner Medienarbeit vermeiden?
Stelle Jüd:innen nicht als fremde, einheitliche oder bösartige Gruppe dar, die heimlich danach streben die Herrschaft über andere Menschen zu erlangen. Stelle sie nicht als Figuren dar, die ein bestimmtes Aussehen haben und versuche Stereotypisierungen, wie z.B. die immer gleiche Darstellung religiöser Männer oder jüdischer Musiker:innen, zu vermeiden.
In diesem Download findest du mehr Tipps, die dir beim Erkennen und damit auch beim Vermeiden von antisemitischen Denkweisen, Bildern und Texten helfen können.
Wie kann ich antisemitismussensible Medienarbeit
machen?
Du bist Medienschaffende und möchtest aktiv antisemitismussensible Medien schaffen?!
Wenn möglich, versuche jüdische Perspektiven einzubringen und mit Expert:innen zusammen zu arbeiten, wenn du deine Medien entwickelst.
In diesem Download findest du mehr Tipps, die dich bei deiner Herangehensweise an eine antisemitismussensible Medienarbeit unterstützen können.
Mehr Tipps
Welche Fragen sollte ich mir stellen, wenn ich Medienarbeit über die Shoa mache?
- Wie gehst du mit Orten der Erinnerung um? Zeigst du sie? Wenn ja, wie?
- Wie gehst du mit Originalmaterial um? Was zeigst du /was zeigst du nicht?
- Wer spricht und wird gehört? Aus welchen Perspektiven ist deine Produktion gemacht? Ist deine Herangehensweise betroffenenorientiert? Tauchen Betroffene nur als Zeug:innen auf? Tauchen auch Täter:innen auf?
- Welche Emotionen und Traumata löst du bei Betroffenen aus?
- Welche Emotionen willst du bei den Betrachtenden hervorrufen?