Diversify! Lehre

Inhalte vermitteln

Umsetzen

Photo by Arif Riyanto on Unsplash

Lehren bedeutet fachliches Wissen vermitteln – und überfachliche Kompetenzen vorleben. Von A wie Ambiguitätstoleranz über M wie Methodensammlung zu W wie Wertschätzung finden Sie hier praktische Tipps zur Gestaltung eines inklusiven Lehr-Lern-Raums und Perspektiven zum antidiskriminierenden Handeln in der Lehre.

Gestaltung des Seminarplans
und der Inhalte

Partizipation erhöht die Motivation. Das gilt auch für die Seminargestaltung. Selbstverständlich ist es wichtig, dass Sie die Themen und Inhalte im Veranstaltungsverlauf platzieren, welche für die Qualifikation Ihrer Studierenden notwendig sind. Doch Sie können in der ersten Sitzung das Vorwissen, die Erwartungen und Interessen der Gruppe abfragen und in den Seminarplan einfließen lassen. Das ermöglicht Ihnen gemeinsam mit Ihren Studierenden thematische Schwerpunkte zu setzen, die Ihrer Gruppe entsprechen. So wird die Chance auf angeregte Mitarbeit im Verlauf des Semesters erhöht (Maisha M. Eggers 2016, S. 63).

Photo by Diana Schroder-Bode on Unsplash

Unabhängig davon, welches Fach Sie lehren, können Sie Ihre Inhalte diskriminierungskritisch gestalten und die Diversitätskompetenz Ihrer Studierenden fördern. Verwenden Sie zum Beispiel Fallbespiele, die Stereotype aufbrechen und diverse Lebensrealitäten widerspiegeln. Achten Sie darauf, dass die Autor:innen Ihrer Literaturliste verschiedene Positionierungen inne haben und Themen aus marginalisierter Perspektive beleuchtet werden. Nutzen Sie Medien wie YouTube Videos, Podcasts oder künstlerische Arbeiten, in denen marginalisierte Positionen hör- und sichtbar werden, um Inhalte zu vermitteln.

Antidiskriminierend Lehren

Photo by Ben Morelandon Unsplash

Sie haben die Möglichkeit Ihre Studierenden für Diversität und Benachteiligungen zu sensibilisieren. Dafür müssen Sie selbst kein Seminar zu Gender oder Migration geben. Jedes Fach und Thema bietet Schnittstellen, um sich mit Antidiskriminierung und Inklusion zu beschäftigen. Zum Einstieg können Sie Ihre Studierenden beispielsweise einen Selbsttest machen lassen, in welchem sie über ihre eigenen Privilegien reflektieren. Auf der Seite Positionierung dieser Webseite finden Sie verschiedene Selbsttests, welche die Studierenden individuell und online durchführen können. Durch die Auseinandersetzung mit den eigenen Erfahrungen kann sich die Aufmerksamkeit für die Bedeutung von Benachteiligung und Bevorzugung in unserer Gesellschaft erhöhen. Dieses Bewusstsein kann als Einstieg in die fachspezifische Arbeit genutzt werden. Insbesondere, wenn Sie ein Fach unterrichten, indem diese Aspekte traditionell wenig behandelt werden, eignet sich ein individueller Einstieg gut. Im Folgenden finden Sie ein Beispiel aus der Praxis, wie eine fachspezifische Auseinandersetzung gestaltet sein kann.

Praxisbeispiel:
Lehren mit der OER Diversify!

Der Bereich Diversify! Lehre ist auch in Zusammenarbeit mit Dozierenden der HAW Hamburg entstanden. Das folgende Beispiel illustriert, wie die Webseite Diversify! für die inhaltlichen Gestaltung einer Lehreinheit zum Thema Antidiskriminierung genutzt werden kann.

Ein Lehrender bildet Studierende aus, die nach ihrem Abschluss im Public Management – also vor allem in Behörden und Ämtern – arbeiten werden. In seinem Seminar zur Gestaltung von Webseiten und digitaler Kommunikation hat er diese Webseite zur Wissensvermittlung genutzt. Dafür gab er den Studierenden vier Aufgabenstellungen, die sie in Kleingruppen bearbeiten und anschließend im Plenum vorstellen sollten. Der Lehrende positionierte sich dabei weniger als fachlicher Experte und mehr als Moderator der Diskussion.

 

Aufgabenstellungen

Bitte denken Sie sich 4-6 beliebige Begriffe aus und suchen Sie diese bei Google Bilder. Präsentieren Sie bitte, inwiefern die Bilder offensichtliche Klischees – oder auch Diversität deutlich machen. Anregungen finden Sie hier: https://blogs.hoou.de/diversify/visuelles/.

Fassen Sie bitte wesentliche Gesichtspunkte dieser Seite https://blogs.hoou.de/diversify/visuelles/  zusammen, die Ihrer Meinung nach gerade für die Erstellung von behördlichen Webseiten besonders interessant sind.

Bringen Sie der Seminargruppe „Klassismus“ lebendig nahe – anhand der für Sie bedeutsamsten Aspekte der Seite: https://blogs.hoou.de/diversify/klassismus/.

Reflektieren Sie bitte interaktiv, wie rassistische Darstellungen in dem Video zum Tatortdreh sichtbar werden. Vorschläge für eine Analyse finden Sie unter dem verlinkten Video: https://blogs.hoou.de/diversify/rassismus/rassismus-bild-und-ton/.

Die Antworten zu den Fragen konnten die Studierenden auf dieser Webseite und in einem wissenschaftlichen Text pro Thema finden, welche vom Lehrenden bereitgestellt wurden. Die Ergebnisse stellten die Kleingruppen im Plenum vor. Insgesamt wurden zwei Sitzungen für diese Lehreinheit benötigt. 

Die Aufgabe gibt den Studierenden die Möglichkeit, sich selbstständig praktisches Wissen anzueignen, welches ihnen Handlungsspielräume und Diversitätskompetenzen für ihre berufliche Zukunft eröffnen.

Methoden

Im Rahmen einer Befragung von Studierenden der Fakultät Wirtschaft & Soziales der HAW Hamburg gab über die Hälfte an, dass sie sich mehr Abwechslung und Vielfalt in der Methodenwahl und den Vermittlungsformaten in Seminaren wünschen. Während Didaktik in der Schule noch eine präsente Gestaltungskomponente ist, wird diese in der Hochschullehre bisweilen den Inhalten untergeordnet. Dabei kann die Wahl der passenden Methode förderlich für die Wissensvermittlung sein. Zudem geschieht Lernen nicht rein kognitiv: „Wissen und Denken ist mit Affekten, mit emotionalen Zuständen und allgemeinen Befindlichkeiten verwoben: Ob Personen sich in einem Veranstaltungskontext wohlfühlen können oder nicht, kann einen immensen Unterschied dabei machen, inwiefern ihnen Lernen ermöglicht wird“ (Conni* Krämer, René_ Hornstein, Gundula Ludwig 2016, S. 54). Methoden, welche die Sinne, Emotionen und den Körper mit einbeziehen, eröffnen wichtige Potenziale für das Lernen.

Weiterführende Links

Der Methodenreader der Technischen Universität Berlin stellt verschiedene Methoden und ihre Umsetzung speziell für den Hochschulkontext vor.

„Ich möchte, dass die Studierenden…“ Unter dieser Frage sortiert die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ihre Methodensammlung und zeigt didaktische Gestaltungsmöglichkeiten für beispielsweise die Arbeitsatmosphäre, Textarbeit, Gruppendiskussionen oder aktive Mitarbeit auf.

Die Toolbox Gender und Diversity der FU Berlin legt dar, wie entscheidend die Methodenwahl für eine achtsame und erfolgreiche Lernatmosphäre ist. 

Die Dialektik der Gleichheit und Differenz

Photo by Evie S. on unsplash

„Die Dialektik der Gleichheit und Differenz
stellt das Spannungsfeld zwischen
der expliziten Nichtbeachtung von Unterschieden
und der expliziten Herausstellung von Unterschieden
zwischen Menschen dar.“

In der Frage, was gelehrt und wie es vermittelt werden soll, gilt es die Unterschiede in Erfahrungen, Fähigkeiten und Wissensständen der Studierenden zu navigieren. Gleichzeitig sollen alle gerecht behandelt werden und entsprechende Gleichheit bestehen. Dabei müssen dennoch die individuellen Bedürfnisse und Herausforderungen berücksichtigt werden, welche die Partizipation im Lehr-Lern-Raum für Studierende ermöglichen – indem zum Beispiel Materialien für sehbeeinträchtigte Studierende zur Verfügung gestellt werden oder ein Nachteilsausgleich in Prüfungen gewährt wird. Differenzen dürfen also weder überbewertet noch negiert werden. Wie kann diese Balance in der Praxis gelingen? Karim Fereidooni, Professor für Didaktik, schlägt in „Diversitätssensible Haltung und Kompetenz in der pädagogischen Arbeit“ folgenden Umgang vor:

Differenzen sollten wahrgenommen und betont werden, wenn:

Differenzen sollten explizit nicht betont werden, wenn:

Umgang mit Ambivalenzen

Photo by Youssef Naddam on Unsplash

Die Heterogenität der Studierenden führt auch dazu, dass unterschiedliche Perspektiven, Normvorstellungen und Blickwinkel in Lehr-Lern-Räumen aufeinandertreffen. Das kann zu vielschichtigen und angeregten Diskussionen beitragen, doch auch zu Spannungen und Konflikten führen. Nicht immer lässt sich ein Konsens finden. Insbesondere wenn seit der Kindheit bestehende Denkmuster hinterfragt werden, können Widerstände und Abwehrreaktionen auftreten. Dieses Verhalten lässt sich unter dem Begriff der Intoleranz für Ambiguität zusammenfassen: das Nicht­ertragen­-Können von Mehrdeutigkeit und die Unfähigkeit, mehrdeutige und gegensätzliche Sachverhalte anzunehmen, wodurch eine starre und unflexible Haltung entsteht. Zwischentöne werden als irritierend abgelehnt (Lenz 2020, S. 13). Diese negativen Reaktionen und Emotionen sind Teil des Lernprozesses. Unsere Gesellschaft ist komplex und wird zunehmend pluraler. Widersprüche und Mehrdeutigkeit, also Ambiguitäten auszuhalten, ist eine entscheidende Zukunftskompetenz. „Ambiguitätstoleranz kann dementsprechend als Kernelement von Demokratie- und Diversitätskompetenz betrachtet werden“ (Lenz 2020, S. 16). Folgende Dimensionen sind nach Lenz essentiell:

Diese Kompetenzen können Sie Ihren Studierenden vorleben, indem Sie sich offen für verschiedene Perspektiven und Meinungen zeigen, Fallbeispiele mit diversen Lebensrealitäten nutzen und darauf achten, dass alle Stimmen in der Gruppe gehört werden. Es kann auch hilfreich sein, wenn Sie Ihre eigene Meinung zurückhalten, um die Diskussion nicht durch ihre Position im Raum von Beginn an in eine Richtung lenken. Ambiguitätstoleranz kann auch vermittelt werden, indem Sie bewusst keine Wertungen bezüglich Perspektiven und Argumenten eröffnen, sondern diese gleichberechtigt stehen lassen – solange keine gewaltvollen Aussagen getroffen werden. 

Ambiguitätstoleranz ist einer der Werte, die diversitätssensible Lehre auszeichnen. 

Weitere Aspekte diskriminierungssensibler Lehre führt die Toolbox Gender und Diversity der FU Berlin aus. 

Auf der Seite Von der Planung bis zum Abschluss gender- und diversitätsbewusst der FU Berlin finden Sie außerdem Tipps und Anregungen zur Vorbereitung und Durchführung inklusiver Lehrveranstaltungen.

Von Fragen und Auslassungen

Im Rahmen Ihrer Lehrveranstaltungen kann es dazu kommen, dass Studierende Fragen stellen, auf die Sie keine Antwort wissen. Das ist kein Problem – im Gegenteil. Indem Sie transparent kommunizieren, dass Sie dazu erst recherchieren werden, bevor Sie in der kommenden Sitzung eine Antwort präsentieren, leben Sie den Studierenden vor, dass Lernen ein stetiger Prozess sein darf. Eine souveräne Reaktion zeigt den Studierenden auch, dass Sie mit den Grenzen Ihres eigenen Wissens respektvoll umgehen. 

Sie können die Fragen der Studierenden im Verlauf des Semesters auch sammeln und in einer der letzten Sitzungen eine:n Expert:in einladen, die einen Workshop zu einem der Themen gibt. Dies kann Sie zudem in der Vorbereitung entlasten, den Studierenden neue Perspektiven und Wissen zugänglich machen sowie Abwechslung in die Sitzungsgestaltungen bringen. Indem für externe Expert:innen und ihre Expertisen der Raum geöffnet wird, wird zugleich das Wissen demokratisiert, welches an Hochschulen gelehrt wird. Auch davon profitieren Ihre Studierenden. 

Photo by Pablo Zuchero on Unsplash

Wenn Sie Ihr eigenes Wissen zu antidiskriminierender Lehre testen und erweitern möchten, bietet der „Selbsttest zur Evaluation der Diversitätssensibilität der TU Dresden einen guten Einstieg. Der Test wurde für Hochschullehrende entwickelt, um sie dabei zu unterstützen, die eigene Sensibilität und Handlungsfähigkeit in Bezug auf Diskriminierung an der Hochschule zu reflektieren. Außerdem bietet der Test zu jeder Frage Erklärungen und studienbasierte Fakten an. So erleichtert dieser nicht nur die Auseinandersetzung mit der eigenen Expertise, sondern dient auch der Wissenserweiterung.

Indem Sie auf bestimmte Themen, Perspektiven und Fragen eingehen, müssen Sie andere vernachlässigen oder auslassen. Das ist in Ordnung und kann gleichzeitig eine in der Gesellschaft bestehende Marginalisierung reproduzieren. Darum ist es wichtig, transparent zu machen, aus welcher Perspektive und unter Inkaufnahme welcher möglichen Auslassungen gesprochen wird (Conni* Krämer, René_ Hornstein, Gundula Ludwig 2016, S. 48). Indem Sie die Themen und Aspekte benennen, für welche die Zeit nicht gereicht hat, können Sie Ihre Studierenden auch über die Veranstaltung hinaus zum selbstständigen Weiterlernen anregen.

Photo by Edward Howell on Unsplash

Sie können Einfluss darauf nehmen, inwieweit Ihre Studierenden nach ihrer Ausbildung zu einer gerechteren und inklusiveren Gesellschaft beitragen. Dafür müssen Sie kein bestimmtes Fach lehren und Sie müssen für diese Themen auch nicht Expert:in sein. Indem Sie Ihr Wissen reflektieren und erweitern, die Intersektionen zwischen Ihrem Fach und antidiskriminierendem Wissen und Handeln aufzeigen sowie bestehende Ressourcen und Expertisen anderer Menschen einbringen, können Sie auf die Diversitätskompetenz Ihrer Studierenden positiv einwirken.

Zurück zu Rahmen schaffen

Auf dieser Seite finden Sie Empfehlungen zur Gestaltung einer wertschätzenden und produktiven Lehr-Lernatmosphäre.

Weiter zu Nachbereiten

Eine Sitzung oder Veranstaltung ist vorbei? Auf dieser Seite finden Sie Anregungen, wie Sie Ihre Erfahrungen produktiv reflektieren können.