Klassismus

Bild und Ton

Was sind klassistische Stereotype?

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Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung; Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung

Videoaufnahme: November 2018

„In Klassismusworkshops verwende ich gerne die Privilegienfrage: War dein Privatleben privat? Wenn man ALG II bekommt, hat man diesen Luxus der Privatsphäre nicht“, sagt Tanja Abou.

Tanja Abou ist Social Justice Trainerin und Sozialarbeiterin und Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Antidiskriminierung. In diesem Interview sprechen die beiden über klassistische Stereotype und die besondere Herabwürdigung von sozial benachteiligten Menschen im Film und Fernsehen.

Shownotes

Comic Relief

Fack ju Göhte

 

Wo sehen wir klassistische Stereotype?

Ein Schwarzer älterer Herr, der auf dem Sofa mit seinem Laptop auf dem Schoss sitzt.
Photo by @Tolu Bamwo from nappy.co

Britta Steinwachs hat sich in ihrem Buch  „Zwischen Pommesbude und Muskelbank“ mit der „Inszenierung der Unterschicht“ im Fernsehen auseinandergesetzt. Sie untersucht darin „Scripted Reality“- Fernsehformate. „Scripted-Realty“ ist Englisch. Der englische Begriff „Scripted-Reality“ lässt sich mit „Drehbuch-Realität“ übersetzen.„Scripted-Reality“ umschreibt also Fernsehformate, die vermeintlich dokumentarisch ein strukturiertes Drehbuch erzählen. Obwohl der Erzählstrang vorgeplant ist, sollen die Geschichten so wirken, als wären sie aus dem alltäglichen Leben gegriffen. Beispiele für solche Serien sind Formate wie “Mitten im Leben” oder “Familien im Brennpunkt”In diesen beiden Serien stehen vermeintlich familiäre Alltagsprobleme der deutschen Bevölkerung im Vordergrund. Die Darstellungen und medialen Techniken sind problematisch und verstärken die Festschreibung von Klischees über von Armut Betroffene und Abwertung der sogenannten „Unterschicht“. 

 

Literaturtipp

Britta Steinwachs „Zwischen Pommesbude und Muskelbank. Die mediale Inszenierung der „Unterschicht““ (Edition Assemblage, 2015)

1. Medien-Techniken in Scripted Reality-Formaten

In Scripted Reality Formaten wird oft mit einer Handkamera gefilmt. Das Bild ist dadurch oft verwackeltDurch diese Technik haben Betrachter:innen den Eindruck die Kamera würde eine reale Szene beobachten und wäre nur „drauf gehalten“ worden. Es wird der Eindruck vermittelt die Szene sei echt (authentisch). 

Bei Scripted-Reality-Formaten wird meist mit Laiendarsteler:innen gearbeitet. Die Körper von den Darsteller:innen und ihre Wohnorte werden so zum „Spielball“. Es wird zum Beispiel das klassenspezifische Verhalten von den Darsteller:innen (wie z.B. ein bestimmtes Körperempfinden, die Körpersprache oder der Kleidungsstil) als Gestaltungselement in die Medienproduktion eingearbeitet. Es vermischen sich also fiktive Konstruktionen und „echtes Leben“. Dies führt dazu, dass die Darsteller:innen sehr authentisch wirken. Doch es führt auch dazu, dass die Inszenierung (das Schauspiel) „unsichtbar“ gemacht wird.

2. Stereotypisierungen und Inszenierungen in Scripted Reality-Formaten und die Folgen

Dominanzgesellschaft als Norm meint: Bei der Darstellung einer sogenannten „Mittelschicht“ und den damit verbundenen Normen stellt sich die Frage: Welches dominanzgesellschaftliche Verhalten wird als „normal“ dargestellt, ohne dass es explizit benannt wird?

Welches Verhalten ist für Menschen der Mittelschicht eigentlich normal – ohne, dass es explizit benannt wird? Dazu zählen Verhaltensweisen wie z.B. bei besonderen Anlässen im Restaurant Essen zu gehen, die Mitgliedschaft in verschiedenen Sportvereinen oder eine Therapie zu machen. Die Charaktere der dargestellten Familien in Scripted-Reality- Formaten werden meist so inszeniert, , dass ihr Verhalten diesen Normen und Erwartungen nicht entspricht. Die Charaktere gehen zum Beispiel nicht zur Therapie, sondern Auseinandersetzungen oder Probleme münden oft in einem Eskalationsdrama. 

Die Drehbücher schaffen so mediale Zerrbilder von einer „Unterschicht“, die „anders“ und vom Rest der Gesellschaft abgekoppelt ist. Dabei werden Menschen mit Armutserfahrung insbesondere durch die stigmatisierende und stereotype Darstellung zu „den Anderen“ gemacht. Dies führt zu einem systemstabilisierenden Denken eines dominanzgesellschaftlichen „Wir“ versus „die Anderen“. Analog dazu werden „Mittelschichts“-Realitäten als „richtig“ und die Lebensrealität ökonomisch Benachteiligter als „falsch“ konzipiert und dargestellt.

Die Familien in Scripted-Reality-Formaten werden oft als „faul“ dargestellt. Das verstärkt das stereotype Bild, dass sich von Armut Betroffene auf Kosten Anderer ausruhen und ohne Gegenleistung die soziale Fürsorge der Allgemeinheit ausnutzen. Ökonomisch benachteiligte Menschen werden so dargestellt, als seien sie nicht bereit sich „allgemeingültigen“ (in Wirklichkeit dominanzgesellschaftlichen) Normen und Werten unterzuordnen. Diese Darstellung suggeriert, dass von Armut Betroffene selbst ihr Recht auf gesellschaftliche Teilhabe verspielt haben. Das Vorurteil, soziale Ungleichheit sei selbstverschuldet und gerecht, wird verstärkt. 

Teil der Handlung in Scripted-Reality-Formaten ist oftmals der Moment, in dem die Charaktere realisieren, wie der sozial erwünschte „richtige“ Weg auszusehen hätte. Dieser impliziert stets eine Anpassung an dominanzgesellschaftliche Werte. Meistens bringt eine staatliche Intervention, etwa der Kontakt zu einem Gericht, einem Jobcenter oder Jugendamt, die Protagonist:innen auf „die richtige Bahn“, zum Beispiel in Form einer Schul- oder Berufsausbildung. 

Die „Unterschicht“ wird somit abermals abgewertet. Es wird so subtil ausgesagt: zur Unterschicht zu gehören sei „falsch“ und zur Mittelschicht zu gehören sei „richtig“.

Die Zuschauer:innen werden mit dem Scheitern von fremden Menschen konfrontiert. So werden soziale Ängste geschürt. Eine solche Angst könnte etwa der Verlust gesellschaftlicher Anerkennung sein, weil man sich nicht genug an dominanzgesellschaftliche Regeln und Anforderungen angepasst hat. Zugleich grenzen sich die Zuschauer:innen von den Darstellenden ab und erhöhen das eigene Selbstwertgefühl, indem sie sich selbst versichern, „nicht wie die“ zu sein. Sie werten die Protagonist:innen damit (unbewusst) ab und sich selbst auf.

3. Auswirkungen von Scripted-Reality-Formaten auf die Zuschauenden

In den Scripted-Reality-Formaten werden oft gesellschaftlich wichtige Themen behandelt, die nah am Alltag von Menschen sind. 

 

Doch die Verschränkung der angewandten Medientechniken (1) und der Reproduktion von stereotypisierenden Darstellungen (2) hat negative Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung.

 

Die Techniken (das vermeintlich dokumentarische Filmen und die Arbeit mit nicht professionellen Schauspieler:innen) zusammen mit Drehbüchern (die stereotypisierende Bilder reproduzieren) führen dazu, dass jene Fernsehformate als Beweis für bereits vorhandene Vorurteile gelesen werden. Dies wiederum verstärkt Klassenhierarchien, führt zu einer Einschreibung klassistischer Stereotype in unsere Wahrnehmung der Gesellschaft und mindert die Hemmschwelle für diskriminierende Übergriffe

 

Scripted-Reality-Formate mit großer öffentlicher Reichweite haben Einfluss darauf, wie wir ökonomisch Benachteiligte wahrnehmen, wie wir Menschen begegnen und wie solidarisch oder unsolidarisch wir uns ihnen gegenüber verhalten.

Zum Nachdenken!
Wissen anwenden.

Wie können wir das Wissen um die Verschränkung von Technik und stereotypisierenden Darstellungen nutzen, um klassismussensible Medien zu gestalten? Eine naheliegende Möglichkeit wäre eine Gegenästhetik zu schaffen, z.B. durch das Filmen mit Stativ. Welche Ideen hast du?

"Armut kennt viele Geschichten"


Wie stellen wir Armut dar?

Im Fernsehen, in der Werbung, im Film und in Fotografien werden häufig stereotype Darstellungen reproduziert. Oft wird hierbei Armut und soziale Herkunft in Bezug auf Kinder und Obdachlose verhandelt. Gerade bei der Darstellung von z.B. Kinderarmut ist es wichtig komplexe Situationen sensibel abzubilden.

Schaue dir folgenden Kurzfilm „Armut kennt viele Geschichten“ von Isabel Prahl an. Darunter findest du einige Anmerkungen zu dem Film, die hilfreich sein können, den Kurzfilm klassismussensibel einzuschätzen.

 

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Wie kann ich klassismussensible
Medien schaffen?

Es ist wichtig Stereotype nicht unreflektiert zu (re-)produzieren.
Fokussiere deine Darstellungen auf die tatsächlichen Eigenschaften, Tätigkeiten
und die Umgebung der Befragten oder Portraitierten. Oder breche stereotype
Darstellungen ganz bewusst.

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„Menschen, die in Bezug auf Klassismus privilegiert sind, rate ich, Zuhören zu lernen“ sagt Nenad Čupić.

 

Tanja Abou ist Social Justice Trainerin und Sozialarbeiterin und Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Antidiskriminierung. In diesem Interview sprechen die beiden darüber, was sie Medienschaffenden raten, die nicht von Klassismus betroffen sind.

Achte beim Dokumentieren und Fotografieren auf Folgendes:

Wie kann ich es vermeiden Klassismus zu reproduzieren?

Hier findest du eine Checkliste, die dich dich unterstützen kann, deine Medienarbeit klassismussensibel zu gestalten.

Wie kann ich klassistische Dartsellungen auf der Bildebene vermeiden?

Diese Checkliste bietet dir Anhaltspunkte, wie du Menschen in Bezug auf Klassismus respektvoll darstellen kannst.

Empowerment und Klassismus

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„Medienschaffenden, die Klassismuserfahrungen gemacht haben oder machen, rate ich, die eigene Klassensozialisation und -position sichtbar zu machen und so andere Menschen zu empowern.“, sagt Nenad Čupić und plädiert für Sichtbarmachung als Empowermentstrategie.

 

 

Tanja Abou ist Social-Justice Trainerin und Sozialarbeiterin und Nenad Čupić ist Trainer und Berater für Antidiskriminierung. In diesem Interview sprechen die beiden darüber, was sie Medienschaffenden raten, die von Klassismus betroffen sind.

Weiter zu den Kurztipps: 

Finde hier schnelle Tipps für den Umgang mit Klassismus und klassismussensibler Medienarbeit