Klassismus
Kurztipps
Begriffsklärung
Die soziale Herkunft bezeichnet ein soziokulturelles Erbe.
Das heißt Menschen erben die Ressourcen und Wertesysteme von ihren Eltern, ihrer Familie oder Bezugspersonen. Menschen werden von anderen auch anhand dieser vererbten Marker „erkannt“ und bewertet. Dieses vermeintliche „Erkennen“ beruht oft auch auf Zuschreibungen und stimmt nicht unbedingt mit den tatsächlichen Lebensrealitäten von Menschen überein. Unsere soziale Herkunft entscheidet nach wie vor über Zugänge zu Bildung, Gesundheitsversorgung, Kultur oder gesellschaftlicher und politischer Teilhabe. Fehlende Zugänge erschweren die Möglichkeit eines Klassenwechsels oder ein Verändern von Verhaltensweisen und Wertesystemen. Oft ist die soziale Herkunft tief in unser Unterbewusstsein und unsere Körper eingeschrieben. Die soziale Herkunft ist kein eindeutig definierter Begriff. Je nach Kontext werden unterschiedliche Aspekte betont wie z.B. Einkommen, Vermögen, Bildungsstand, Arbeitstätigkeit, Studienabschluss, Verhalten, Armut, Aussehen, Sprache.
Die soziale Herkunft oder Klassenherkunft bezieht sich auf die Ressourcen, die Menschen in ihrer Kindheit und im Aufwachsen zur Verfügung standen. Die soziale Position oder Klassenposition bezieht sich auf den aktuellen Standpunkt in gesellschaftlichen sozio-ökonomischen Verhältnissen.
Klassismus ist eine unterschiedliche Behandlung und Diskriminierung von Menschen, die auf der (angenommenen) sozio-ökonomischen Herkunft oder Klassenposition in der Gesellschaft beruht. Menschen, Tätigkeiten oder Lebensweisen wird dabei Wert/ Unwert oder Fähigkeit/ Unfähigkeit zugeschrieben. Gesellschaftlich entsteht so eine Hierarchie entlang der Kriterien: Erfolg, Status und Bildung. Ein Teil der Bevölkerung wird aufgrund der sozioökonomischen Position diskriminiert. Ein anderer Teil (der sozial und ökonomisch dominante Teil) der Bevölkerung wird hingegen privilegiert (bevorteilt) und kann so machtvollere Positionen besetzen.
Dabei geht es nicht nur um die ökonomische Stellung von Menschen, sondern auch um Auf- und Abwertung auf kultureller, politischer, institutioneller und individueller Ebene.
Wie andere Diskriminierungsformen ist Klassismus allgegenwärtig und wirkt sich auf unser Leben in den Bereichen Wohnen, Gesundheit, Arbeit, Ansehen oder Bildung aus. Klassismus ist oft verschränkt mit anderen Diskriminierungsformen, wie Rassismus, Sexismus oder Ableismus. So wurde auch der englische Begriff „Classism“ im US-amerikanischen Kontext maßgeblich durch die Erfahrungen von Communities (Gemeinschaften) geprägt, die mehrfachdiskriminiert werden. So etwa durch Schwarze lesbische Frauen in der Frauenbewegung. Der Begriff „Klassismus“ ermöglicht das Benennen und Sichtbarmachen einer Diskriminierungsstruktur und Diskriminierungserfahrung.
Der Klassenbegriff ist auf eine marxistischen Theorietradition zurückzuführen: Die Arbeiter:innenklasse muss ihre Arbeitskraft verkaufen und besitzt keine Produktionsmittel. Im Gegensatz dazu steht die Klasse der Menschen, die Produktionsmittel besitzen (Kapitalist:innen). Produktionsmittel sind z.B Maschinen, Fabriken und ein großes Eigenkapital.
Der Klassenbegriff ist stark politisiert und häufig mit Visionen einer gerechteren (nicht kapitalistischen) Gesellschaft verbunden. Marx’ Analysen wurde von verschiedenen sozialen Bewegungen, Feminist:innen und postkolonialen Theoretiker:innen weltweit aufgegriffen, ergänzt und weitergedacht, um die Zusammenhänge zwischen Kapitalismus, Rassismus, Sexismus und weiteren Ausbeutungsverhältnissen aufzuzeigen.
In den Medien und im Alltagssprachgebrauch wird oft der Begriff der „sozialen Schicht“ verwendet. Dabei sollen drei soziale Schichten unterschieden werden: die untere, mittlere und obere Sozialschicht. Das Bild der „Schichten“, mit klarem „oben“ und „unten“ impliziert einerseits eine Hierarchisierung, gleichzeitig bleibt oft sehr vage, wodurch die Zugehörigkeit zu einer Schicht bestimmt wird. Viele Menschen verorten sich selbst in der Mittelschicht. Zuweilen wird so die Thematisierung tatsächlicher Einkommensverhältnisse und sozialer Positionierungen verwischt.
Der Begriff Arbeiter:innenkinder entstand im Zuge der Industrialisierung. Arbeiter:innenkinder mussten ihren Lebensunterhalt mit gering bezahlter Lohnarbeit bestreiten. Heute ist der Begriff schwerer abzugrenzen, da potenziell mehr Gruppen darunter fallen. In den Medien wird der Begriff häufig für Kinder verwendet, deren Eltern keine Akademiker:innen sind und die häufig körperliche Arbeit leisten. Im Gegensatz zu Arbeiter:innenkindern stehen folglich die Akademiker:innenkinder.
Mit diesem Begriff werden häufig Studierende bezeichnet, deren Eltern oder Bezugspersonen keine Hochschule besucht haben oder keine gymnasiale Schulbildung aufweisen.
Weil im Bild des „Aufstiegs“ bereits eine Wertung liegt, sprechen manche Menschen stattdessen von einem „Klassenwechsel“. Dass bestimmte Berufe (oft verbunden mit einem Studium) als „Aufstieg“ empfunden werden und mehr ökonomische Sicherheit sowie gesellschaftliches Ansehen mit sich bringen, ist Teil unserer klassistischen Gesellschaftsstruktur.
Wer ist von Klassismus betroffen?
Da wir alle Teil der Gesellschaft sind, sind wir alle betroffen: Es gibt kein außerhalb des Klassismus. Allerdings werden manche Menschen durch Klassismus privilegiert und manche Menschen durch Klassimus diskriminiert. .
Von Klassismus werden besonders häufig folgende Gruppen diskriminiert:
- Erwerbslose
- Menschen mit geringem Einkommen
- Menschen mit Armutserfahrungen
- Menschen mit kurzer oder keiner Bildung oder Ausbildung
- Menschen ohne festen Wohnsitz
- Menschen mit Behinderungen
- Menschen mit psychischen Erkrankungen
- Alleinerziehende
- ältere Menschen (insbesondere Frauen)
- Geflüchtete
- Migrant:innen
- Menschen mit Rassismuserfahrungen
Wo stehe ich in Bezug auf Klassismus?
Wir laden dich mit folgenden Fragen ein, deine gesellschaftliche Position in Bezug auf Klassismus zu reflektieren. Der Selbsttest kann die Realität nie vollständig abbilden und das Ergebnis ist als Tendenz zu verstehen. Es geht in diesem Test nicht darum, dass wir dich bewerten – das tut die Gesellschaft durch klassistische Normen und Werte. Wir bieten dir dieses Tool an, damit du für dich besser einschätzen kannst, wo du stehst. Unsere Hoffnung ist, dass es dir dabei hilft, einen guten und bewussten Umgang für deine Medienpraxis und darüber hinaus zu entwickeln.
Downloads
Wie kann ich es vermeiden Klassismus zu reproduzieren?
Wie kann ich es vermeiden Klassimus auf sprachlicher Ebene zu reproduzieren?
Hier findest du eine Sammlung
an Begriffen und Ausdrücken,
die du vermeiden solltest und
jene die du verwenden solltest!
Wie kann ich klassistische Darstellungen auf der Bildebene vermeiden?
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Interviews, Artikel und Links
zu antiklassistischen Projekten,
Initiativen und Selbstorganisationen
Initiativen und Selbstorganisationen
Eine Selbst-Organisationen zur Vernetzung studierender Arbeiter:innenkinder ist arbeiterkind.de
Das FikuS-Referat der Universität Münster ist das Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende.
An der Universität Köln gibt es das Autonome Referat für antiklassistisches Empowerment.
kikk kollektiv – Klassismus ist keine Kunstepoche bietet Bildung, Beratung, Aktivismus und Empowerment rund um’s Thema Klasse und Klassismus in Berlin und darüber hinaus an.
Basta! ist eine Berliner Selbstorganisation von Erwerbslosen, Beschäftigten mit geringem Einkommen und Studierenden mit wenig Geld.
Das Institut für Klassismusforschung wurde von Personen, die sich selbst als Working Class/ Poverty Class Academics mit dem Forschungsschwerpunkt Klassismus bezeichnen.
Die Armutskonferenz ist seit 1995 als Netzwerk von über 40 sozialen Organisationen, sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen aktiv und thematisiert Hintergründe und Ursachen, Daten und Fakten, Strategien und Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung in Österreich.
Diversity Arts Culture: Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung im Kulturbetrieb.
Literatur-
und Recherchetipps
Fatma Aydemir schreibt über die Normalität von Überarbeitung und Erschöpfungszustand vieler Migrant:innen in Deutschland: Ein Auszug aus dem Sammelband „Eure Heimat ist unser Albtraum“ (Ullstein, 2019).
Bei Radio Corax, ein freies nichtkommerzielles Radio, spricht Francis Seeck über den #unten: Twitter-Kampagne gegen Klassismus (2018).
In den vergangenen Jahren erschienen diverse Sammelbände zum Thema, in denen Aktivist*innen, Einzelpersonen und Initiativen von ihren Klassismuserfahrungen und solidarischen Praxen berichten, z.B.:
„Solidarisch gegen Klassismus – organisieren, intervenieren, umverteilen“, herausgegeben von Francis Seeck und Brigitte Theißl (Unrast, 2021).
Sammelband „Klassenfahrt – 63 persönliche Geschichten zu Klassismus und feinen Unterschieden“, herausgeben von Frede Macioszek und Julian Knop (edition assemblage, 2022).
Anja Meulenbelt schrieb bereits 1988 das Buch „Scheidelinien: Über Sexismus, Rassismus und Klassismus“ (Rowohlt, 1988).
antiklassistische
Projekte
Das Projekt „check your habitus“ versammelt 18 Autor:innen, die ihre Verhaltensmuster als „Aufsteiger:innen“ überprüfen und die Facetten ihrer Klassenreisen beleuchten.
Dishwasher Magazin ist ein Magazin von und für die Working Class, also für klassische Arbeiter:innen sowie für studierende -und fertig studierte- Arbeiter:innenkinder.
Die Initiative für einen Gedenkort KZ Uckermark erinnert an die Opfer und Überlebenden, als auch an die Kontinuitäten der Verfolgung von so genannten „Asozialen“.
Die Plattform „Sichtbar Werden“ ist als Teil der Armutskonferenz ein Zusammenschluss von Menschen und Initiativen mit Armuts-, Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen aus Österreich.
In Hamburg bietet das Projekt FrauenFreiluftGalerie Führungen zu Arbeiterinnen im Hamburger Hafen an.
Online kannst du dich unter dem #unten über Erfahrungen von Menschen, die klassistisch diskriminiert werden informieren.