Repräsentation

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Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland

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Chefredakteur:innen mit Migrationsgeschichte (aus deutschen Nachbarländern oder EU-Staaten)

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Schwarze, muslimisch geprägte, russisch-, polnisch- türkischsprachige Chefredakteur:innen

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Hochschulabschlüsse von Frauen im Fach Regie in Deutschland

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Kinofilme unter weiblicher Regie

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der Fördergelder im Bereich Regie gehen an Frauen

Quelle: ProQuote Film (2020) – Status Quote

Welche Perspektiven
lesen wir und sehen wir?

In der Gegenüberstellung der Zahlen erkennen wir: Es besteht ein Ungleichgewicht zwischen den Realitäten der Bevölkerung und deren Repräsentation in deutschen Medien. Die Folge: Schwarze und Menschen of Color, Personen mit Behinderung, Muslim:innen, Juden und Jüdinnen oder queere Menschen können ihre Perspektive auf die Welt medial kaum vermitteln. Eine weitere Folge: Dritte repräsentieren diese Personen und das oft unbewusst mit Rückgriff auf z.B. klischeehafte Vorstellungen, Darstellungen und Fremdbezeichnungen. Stereotype verstärken eine Einteilung in ein „Wir“ (die Normalität) und die „Anderen“ (die Abweichung). So ein Entweder-Oder-Denken ist Nährboden für Ausgrenzung, Abwertung und Diskriminierung.

Unsere Kindheitsträume davon, wer wir als Erwachsene einmal sein werden, sind stark von den Medien beeinflusst. Das Zitat von Marian Wright Edelman „Was du nicht sehen kannst, kannst du nicht sein.“ verweist darauf, dass es wichtig ist, vielfältige Vorbilder und Geschichten zu präsentieren. Durch vielfältige Repräsentation z.B. in Kinderbüchern, Zeitungen oder Fernsehformaten kann das Selbstbewusstsein und Selbstbild all jener Kinder und Erwachsener mit Dikriminierungserfahrung gestärkt werden und zugleich Emphatie geübt werden. 

Analysiere die Kinderbücher, mit denen du aufgewachsen bist auf Diversitätsaspekte. Also schaue mal, ob Menschen unterschiedlicher Hautfarbe vorkommen oder ob gesundheitliche Beeinträchtigungen eine Rolle spielen. Analysiere auch, ob die Charaktere stereotyp oder komplex dargestellt sind.

Unterrepräsentation

Die mediale Unterrepräsentation 

betrifft beispielsweise folgende Bereiche:

Die Unterrepräsentation hat vielfältige Ursachen, wie sich am Beispiel von Menschen mit Migrationsgeschichte zeigen lässt: So werden sie häufig auf das Themengebiet Migration reduziert und nicht als Expert:innen anderer Fachgebiete herangezogen. In medienbezogenen Ausbildungsberufen und Studiengängen sind sie kaum vertretenEin Grund hierfür sind erschwerte Bildungszugänge. Vor allem im Bereich Medien und Journalismus wird ein Abschluss von teuren Privatschulen erwartet oder in der universitären Ausbildung davon ausgegangen, dass die Beteiligten Vollzeit studieren können und nicht arbeiten müssen. Dies trifft für Studierenden mit Migrationsgeschichte häufig nicht zu. In der Vergabepraxis von Fördergeldern werden Migrationsthemen oft als „Sonderthemen“ behandelt. Wird bereits ein Film mit einer queeren Hauptfigur mit Migrationsgeschichte gefördert, dann scheint dies auszureichen. Bei weißen, deutschen (männlichen) Hauptfiguren tauchen solche Überlegungen erst gar nicht auf.

Die Gefahr der einzigen Geschichte

Das Problem der Stereotypisierungen

„Das Problem mit Stereotypisierung ist nicht, dass sie unwahr, sondern, dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte.“ Chimamanda Ngozie Adichie

(TED)

„Wäre ich nicht in Nigeria aufgewachsen und alles was ich über Afrika wusste wäre aus weitverbreiteten (Medien-)Bildern, dann würde ich auch denken, Afrika sei ein Ort wunderschöner Landschaften, wunderschöner Tiere und unergründlicher Menschen, die sinnlose Kriege führen, an Armut und AIDS sterben, unfähig sind für sich selbst zu sprechen und darauf warten, von einem freundlichen, weißen Ausländer gerettet zu werden. Ich denke diese einzige Geschichte Afrikas stammt letztlich aus der westlichen Literatur.“ Chimamanda Ngozie Adichie (TED)

Chimamanda Ngozie Adichie ist Autorin. Sie wurde vielfach für ihre Werke wie „Blauer Hibiskus“ oder „Americanah“ ausgezeichnet. Ihre Werke wurden  in über 30 Sprachen übersetzt. 

In dem Video erzählt Chimamanda Ngozie Adichie, wie sie die Problematik der „einzigen Geschichte“ im Verlauf ihrer eigenen Biografie wahrgenommen hat und zu hinterfragen begann.

Tokenism

Repräsentation ist nicht gleich Repräsentation

Nicht immer, wenn beispielsweise Schwarze Menschen in einem Film vorkommen oder am Redaktionstisch sitzen, werden sie wirklich inkludiert. So erhalten z.B. Schwarze Schauspieler:innen oft Rollen, die auf stereotype Darstellungen von Sklav:innen oder Geflüchteten reduziert sind. Im Englischen gibt es für diese Schein-Inklusion oder rein symbolische Einschließung den Begriff „Tokenism“. Im Deutschen kennen werden dafür auch Begriffe wie „Alibi-Schwarzer“ oder „Quoten-Behinderte“ verwendet. Im Video „Wir sind nicht euer Diversity-Image!“ berichten Menschen von ihren Erfahrungen als Token.

Schaue dir dieses Video an:

Wir sind nicht euer Diversity-Image

Dargestellte Personen werden hier nicht als Individuen betrachtet, sondern lediglich als Repräsentant:innen ihrer vermeintlichen Kategorie („Frau“, „Kanak:in“, „Schwarze:r“). Oftmals werden sogenannte Tokens nur aktzeptiert, wenn sie die Vorstellungen oder Meinungen der Mehrheit bestätigen. Das heißt, wenn sie Stereotype darüber reproduzieren, wie Frauen, Schwarze, Migrant:innen oder behinderte Menschen angeblich sind.  Oder wenn sie versuchen ihr „Anderssein“ zu verstecken und sich der Mehrheit anzupassen. Dies zeigt der Pixar-Kurzfilm „Purl“ eindrücklich.

Eine Gefahr bei dem Wunsch nach vielfältiger Repräsentation ist also, dass es sich dabei lediglich um eine Alibifunktion handelt. Diversität funktioniert wie ein Poster, dass mensch aufhängt, um das dahinter liegende Loch in der Wand zu verbergen. Kurz gesagt: Die eigentlichen Machtstrukturen bleiben unberührt.

Die Zahlen zur Unterrepräsentation von Frauen und Personen of Color im Film und Journalismus belegen dies. Richtungsweisende Entscheidungen über Geld und Zugänge werden weiterhin hauptsächlich von weißen cis-Männern ohne Behinderung getroffen. Die Art der Berichterstattung ist von weißen, männlichen Denkmustern geprägt. Tokens müssen sich den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft anpassen – auch wenn Internetseiten, Werbekampagnen und Talkshows uns bisweilen einen anderen Eindruck verleihen.

Das theoretische Konzept „Tokenism“ hat die US-amerikanische Soziologin Rosabeth Moss Kanter entwickelt. Sie untersuchte Unternehmen, in denen Frauen in der Minderheit waren und stellte fest: Von den Frauen wurde erwartet, dass sie sich entsprechend bestimmter Vorstellungen davon, wie Frauen zu sein haben, verhalten sollten. Manchmal wurden sie auch sozial ausgeschlossen oder die männlichen Beschäftigten überbetonten ihre Unterschiede zu den weiblichen Beschäftigten. Insgesamt waren sie „über“sichtbar und standen unter enormem Leistungsdruck.

Das Konzept Tokenism bezieht sich nicht nur auf die Kategorie Geschlecht. Gayatri Chakravorty Spivak hat Tokenism aus ihrer Perspektive als Wissenschaftlerin of Color analysiert. Sie stellte dabei fest, dass dominante Gruppen nur einige wenige Marginalisierte im Zentrum zulassenDiese würden nur dann akzeptiert, wenn sie die Ideologie der dominanten Gruppe bestätigen – also dieselbe Meinung vertreten, wie diese, sich auf dieselbe Art kleiden oder sprechen.

Ein Beispiel: In deutschen Talkshows wird häufiger über „den Islam“ debattiert. Dabei werden oft Muslim:innen eingeladen, die beispielsweise den Hijab mit Frauenunterdrückung gleichsetzen. Durch das Einladen einer muslimischen Person wird einerseits Repräsentation gefördert. Andererseits wird durch das Verengen auf eine Perspektive die Vielfalt der Positionen zu diesem Thema beschränkt. Selbstbewusste Muslimas, die mit Hijab Karriere machen, werden nicht repräsentiert. Oft spielt es auch keine Rolle, ob die eingeladene Expert:in eigentlich theologische Kenntnisse hat oder nicht.

Da Tokens oft als Repräsentant:innen einer ganzen Gruppe wahrgenommen werden, entsteht bei den Zuschauer:innen der Eindruck, alle Muslim:innen dächten so. „Tokens haben oft nicht die Möglichkeit, für sich selbst zu sprechen, sondern machen immer wieder die Erfahrung, auf „ihre“ (Identitäts-)Kategorie reduziert zu werden.“ (Nach: Azadê Peşmen, Missy Magazin, 2017)

Was sind stereotypisierende Darstellungen?
Mehr dazu erfährst du unter den jeweiligen
thematisierten Diskriminierungsformen.

Geschichten vervielfältigen

Binnenpluralität

Fotografin mit Behinderung richtet ein Bild im Fotostudio ein. SIe steht hinter der Kamera und dem Stativ. Ihre Assistintin schaut ihr zu.
Photo by Andi Weiland on Gesellschaftsbilder.de

Das öffentlich-rechtliche Programmangebot soll aus verfassungsrechtlicher Perspektive möglichst vielfältig sein. Es soll ein breites Meinungsspektrum repräsentieren. Dies bedeutet, dass die visuelle Gestaltung im Kontext des Gesamtbeitrags und im Zusammenspiel mit dem gesamten Programm betrachtet wird. Ein Clip oder Bild muss demnach nicht alle „Personen(gruppen)“ repräsentieren. Gleichzeitig sollte die gesamte Webseite, Broschüre oder Bildstrecke möglichst vielfältig gestaltet sein. Dieses Prinzip wird als Binnenpluralität bezeichnet.

 

Das öffentlich-rechtliche Programmangebot in Deutschland ist derzeit nicht ausreichend binnenplural. Einzelne Redaktionen und Personen, sowie verschiedene Zusammenschlüsse setzten sich für mehr Diversität in Filmen und Filmteams oder in der Berichterstattung und in Redaktionen ein. Pro Quote Film und die Neuen Deutschen Medienmacher:innen sind solche Zusammenschlüsse.

Medien in der Verantwortung

Wer wird repräsentiert?
Opfer und Täter:innen in der Berichterstattung

Nach Gewaltverbrechen fokussieren Berichte in den Medien häufig die Täter:innen und nur wenig die Opfer. Justizreporter:innen und Journalist:innen müssen sich mit dieser Kritik auseinandersetzen und positionieren, damit der Gerichtssaal nicht zur Bühne für Angeklagte wird. Ein Beispiel: Dem Täter des Anschlags vom 9. Oktober 2019 in Halle auf eine Synagoge wird vorgeworfen zwei Menschen getötet und weitere verletzt zu haben. Der Täter hat sich explizit ein Medienecho gewünscht, sich strategisch dafür eingesetzt und dies teilweise auch bekommen. Mehrere Medienhäuser und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) positionierten sich daraufhin explizit. Der damalige Sprecher des DJV fordert dazu auf, in journalistischer Berichterstattung über den Anschlag in Halle keine Verbreitung der rechtsextremen und antisemitischen Ideologien des Täters zu befördern. Nach dem Pressekodex hätte die Prozessberichterstattung die Aufgabe der Einordnung des Geschehenen und sei keine ungefilterte Widergabe von Äußerungen eines Angeklagten.

Medien bieten eine Plattform und damit die Möglichkeit zu beeinflussen, wer diese auf welche Art und Weise für seine:ihre Inhalte nutzen kann und dabei gehört wird.

Hier kannst du mehr dazu lesen oder dir den Beitrag anhören.

Wünsche an Medienschaffende

"Mein Traum: Ein Redaktionstisch so bunt,
wie die Straßen jeder deutschen Stadt"
Joanna Stolarek

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CC-Lizenz: BY-ND

Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung; Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung

Videoaufnahme: August 2018

 Joanna Stolarek ist Büroleitung bei der Heinrich-Böll-Stiftung Warschau und hat bei den Neuen Deutschen Medienmacher:innen gearbeitet. 

Ihr Plädoyer: Medienschaffende sollten Betroffene zu Wort kommen lassen und verschiedene Perspektiven als Quellen verwenden, um objektiver zu berichten. Außerdem fordert sie mehr (Perspektiven-)Vielfalt am Redaktionstisch und ein ernstnehmen von Menschen mit Migrationsgeschichte als Expert:innen.

Die Neuen Deutschen Medienmacher:innen sind ein bundesweiter unabhängiger Zusammenschluss von Journalist:innen mit und ohne Migrationsgeschichte. Das Netzwerk tritt für eine ausgewogene Berichterstattung einEine ausgewogene Berichterstattung bedeutet für das Netzwerk, dass Deutschland als Einwanderungsland adäquat abgebildet wird.

Wie schaffen wir
Sichtbarkeit und Diversität ?

"Chefredakteur:innen haben eine Verantwortung,
wenn sie diese "Diversität" in ihren Redaktionen wollen.
Sie müssen sich zur Aufgabe machen diese auch einzuholen."
Poliana Baumgarten

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CC-Lizenz: BY-ND

Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung

Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung

Videoaufnahme: Januar 2019

Poliana Baumgarten ist Videografin und Filmemacherin. Sie arbeitet als Videojournalistin für das Online Magazin ze.tt. Im Interview unterstreicht sie, dass Chefredakteur:innen dafür Veranwortung tragen unterrepräsentierte Menschen zu suchen und einzustellen – damit der Readktionstisch endlich zur Perspektivenvielfalt wird.

Weitere Themen im Interview: Betroffenenperspektiven repräsentieren vs. fehlende Ressourcen

Mehr

Teste, wie vielfältig dein (Lieblings-)Film ist: Der Bechdel-Test erfasst, wie häufig und auf welche Art und Weise Frauen in Filmen dargestellt werden. Der Vito Russo-Test zeigt, wie häufig und auf welche Art und Weise lesbische, schwule, bisexuelle, intergeschlechtliche und trans* Personen oder queere Menschen (LGBTQI*) in Filmen dargestellt werden.

Du suchst Expert:innen mit Migrationsgeschichte? Dann schau mal in die Datenbanken Speakerinnen und der Vielfaltfinder.

Wie fördern wir eine diversitätsbewusste Film- und Fernsehbranche? Dr. Skadi Loist und Pro Quote Film fordern Diversitätsstandards wie in Großbritannien und eine Erneuerung des Filmförderungsgesetzes.

Warum ist gut gemeint nicht immer gut für Diversität? Alice und Maxi sprechen im Podcast Feuer und Brot Folge #45 über White Saviorism und „Warum gut gemeint oft nicht hilfreich ist“

Kurztipps

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