Mit Sprache ordnen und erklären wir uns die Welt. Dabei vereinfachen wir und kategorisieren, um uns in der komplexen Wirklichkeit zu orientieren. Sprache steht immer auch in Verbindung mit Macht. Auf dieser Seite zeigen wir beispielhaft auf, wo das Zusammenwirken von Sprache und Macht sichtbar wird. Ziel ist es, sich der Auswirkungen von Sprache bewusst zu werden und sich für den Sprachgebrauch zu sensibilisieren. Dies beinhaltet sowohl ein Bewusstsein für den Sprachgebrauch, den wir z.B. in Medien wahrnehmen damit für „normal“ halten, zu entwickeln, als auch unsere eigenen Begriffe zu hinterfragen. Welche Begriffe benutzen wir ganz selbstverständlich? Sind diese problematisch? Es gibt vielfältige Strategien Sprache bewusst gegen Diskriminierung und für Chancengerechtigkeit, Empowerment und Zugänge einzusetzen. Einige Handlungsmöglichkeiten stellen wir auf dieser Seite vor.
Sind wir für Sprache sensibilisiert?
„Durch mehr Perspektiven am Redaktionstisch wird auch die Sensibilität für Sprache anders“, sagt Joanna Stolarek.
Lizenz: CC BY-ND Namensnennung, keine Bearbeitung; Video von: Team Diversify! für Diversify! Webseite für diversitätsbewusste Mediengestaltung
Videoaufnahme: August 2018
Joanna Stolarek ist Journalistin und hat für die Neuen Deutschen Medienmacher:innen gearbeitet. In dem Interview kritisiert sie, dass Sprache – auch im Journalismus – oft fälschlicherweise als neutral angesehen wird. Demgegenüber betont sie, dass Sprache von der Perspektive der berichtenden Person und deren Erfahrungshorizont beeinflusst wird. Sie sagt, dass in den Redaktionen vor allem weiße Männer ohne Migrationsgeschichte arbeiten und daher sprachliche Formulierungen aus genau dieser Perspektive vorherrschend sind. Das Interview ist zugleich ein Plädoyer für mehr Vielfalt in den Redaktionen.
Shownotes
Lesen ist wichtig.
Keine Lust zu lesen?
Direkt zu: Was kann ich tun?
Sprachliche Macht erkennen
Sprachliche Kategorien beeinflussen,
wie wir andere wahrnehmen,
was wir über sie denken und
wie wir uns ihnen gegenüber verhalten.
Mittels Sprache teilen wir Menschen in Gruppen ein. Das vereinfacht uns das Denken. Gleichzeitig ist es auch gefährlich, denn wir nehmen die Vielfalt und Komplexität der Wirklichkeit dadurch oft nicht mehr wahr. Ein Beispiel: In der Schwarz-Weiß-Fotografie sehen wir verschiedene Varianten von Grauwerten. Obwohl hier gar kein reines Schwarz und Weiß vorkommt, heißt diese Fotografie dennoch so.
Die Einteilung von Menschen in Gruppen basiert meist auf einem Denken in Gegensätzen. Zum Beispiel: Deutsche / Ausländer oder Frauen / Männer. Die jeweiligen Gruppen erhalten dann gegensätzliche Eigenschaften, wie fleißig / faul oder emotional / rational.
Die zugeschriebenen Eigenschaften beinhalten dabei eine Abwertung und eine Aufwertung. So werden Ausländer:innen häufig negative Eigenschaften im Vergleich zu Deutschen zugeschrieben, um zu begründen, warum diese nicht zu Deutschland passen und die Grenzkontrollen verschärft werden sollten.
Die sprachliche Einteilung in Gruppen hat also eine gesellschaftliche Funktion. Hierüber werden Rechte, Zugänge und Ressourcen geregelt oder auch Gewalt und Diskriminierung gerechtfertigt. Die gesellschaftliche Gruppe, die über mehr Macht (z.B. Besitz von Zeitungen oder Fernsehkanälen) verfügt, kann oft bestimmen, welche Gruppeneigenschaften gezeigt werden.
In Sprache(n) werden Normen verankert, archiviert und überliefert. Mit unserem Sprachgebrauch weisen wir auch Menschen und Phänomenen Kategorien zu. Diese Kategorien werden über einen langen Zeitraum hinweg mit Bedeutungen gefüllt und verbinden sich mit anderen Begriffen zu Assoziationsketten. Mehr als 60 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung assoziieren den Begriff „Islam“ mit: Benachteiligung der Frauen, Fanatismus und Gewaltbereitschaft. Werden jedoch ausschließlich Türkisch-Deutsche zu ihren Assoziationen zu „Islam“ befragt, lauten diese: Friedfertigkeit, Solidarität und Toleranz (taz). Dies zeigt wie relevant die Perspektive aus der berichtet wird ist. Es zeigt auch, dass in den Medien zu wenig verschiedene Perspektiven repräsentiert sind. Die wiederholt repräsentierte Wortwahl aus einer Perspektive (weiß/ männlich/ cis-gender/ nicht-behindert) und die damit verknüpften Assoziationsketten befördern stereotypes Denken und können ein Nährboden für Hass und Ängste sein. Sie führen auch zu Gewalterfahrungen von marginalisierten Personen sowohl im Alltag als auch institutionell und strukturell.
Quelle: Nabila Abdel Aziz, Asaad El Salawi, Julia Ley, Dania Zintl, taz, 2018
Was über wen gesagt wird,
formt und festigt
gesellschaftliche Machtverhältnisse.
Auch Gruppen und Institutionen nutzen Sprache als Instrument. Diese wird z.B. sichtbar, wenn bestimmte Texttypen (Gesetze, Regierungserklärungen, Formulare) erzeugt werden. Es ist ein sprachliches Privileg bestimmte Texte formulieren und verstehen zu können. Im Umkehrschluss führt ein Nicht-Verstehen zu Ausschluss und weniger Teilhabe. Eine Person, die Deutsch nicht als Muttersprache spricht, hat deutlich größere Herausforderungen ein Formular bei ihrer Ärztin auszufüllen.
Die Kategorien, die durch Sprache gefestigt werden, werden außerdem zur Verteilung von Ressourcen (z.B. Geld, soziale Netzwerke, Machtpositionen) verwendet. Im Jahr 2001 wurde in Deutschland die „eingetragene Lebenspartnerschaft“ als Kategorie eingeführt, um gleichgeschlechtliche Paare anzuerkennen. Gleichzeitig hatten sie weniger Rechte als verheiratete, heterosexuelle Paare, die der Kategorie „Ehe“ zugeordnet waren. Seit 2017 steht die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren offen. Hier wird deutlich: Die sprachliche Kategorisierung ist entscheidend über zugestandene Rechte. Und: Die Bedeutungen von Begriffen sind nicht festgeschrieben, sondern veränderbar und der Sprachgebrauch ist immer auch einer Intention anpasst.
Die Psychologin Dr. Grada Kilomba erläutert, wie der Begriff sich noch heute auf Menschen of Color auswirkt:
„In dem Moment wo Kathleen als ‚N.‘ bezeichnet wird, platziert man sie plötzlich in dieser kolonialen Ordnung, da der Begriff die Beziehung zwischen Weißen und Schwarzen beschreibt, welcher seine Wurzeln in einer Herr-Knecht-Dichotomie hat. Jene, die ‚N.‘ rufen, wiederholen in diesem Moment eine Sicherstellung ihrer Macht als weiße HerrscherInnen, und sie erinnern Kathleen an den Ort, den sie betreten darf – den Ort der Unterlegenheit, d.h. den Platz des ‚N.‘.“
Zur Bezeichnung von Menschen of Color durch weiße Personen ist das N-Wort gänzlich abzulehnen.
Besonders in der US-amerikanischen HipHop-Community wird der Begriff teilweise als Selbstbezeichnung Schwarzer Künstler:innen verwendet. Innerhalb Schwarzer Communities ist die Verwendung des Begriffs als Selbstbezeichnung jedoch ebenfalls umstritten. In Deutschland ist das N-Wort als Selbstbezeichnung größtenteils undenkbar. Wichtig ist grundsätzlich, dass ein Unterschied darin besteht, ob sich unterdrückte Menschen selbst mit dem N-Wort bezeichnen oder ob dies von weißen Menschen geschieht. Die Wirkung ist eine andere!
Es kann auch sein, dass Menschen den Begriff N-Wort zunächst nicht verstehen, weil sie die Abkürzung nicht kennen. Dann kann es sein, dass der Begriff einmal ausgesprochen werden muss. Beispielsweise haben wir uns oben im Text dafür entschieden den Begriff einmal in Anführungszeichen auszuschreiben, damit alle wissen, worum es geht.
Wenn zum Beispiel Texte mit rassistischen Inhalten des Philosophen Immanuel Kant gelesen werden, der das N-Wort ebenfalls benutzte, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein traumatisierendes Wort vorkommt. Es ist fraglich, ob die Texte zensiert werden sollten, da sie ja Zeitdokumente sind und belegen, wie rassistisch Kant dachte.
Sprache ist wandelbar,
kann verändert werden
und Wissen erweitern.
Begriffe für Gruppen sind nicht immer problematisch. Sie können auch diejenigen stärken, die ausgegrenzt, übersehen und unterdrückt werden. Solche Begriffe werden Selbstbezeichnungen genannt.
Ein Beispiel: Früher war im englischsprachigen Raum der Begriff „dyke“ ein Schimpfwort für Lesben und besonders diejenigen, die eher maskulin aussahen. Lesben eigneten sich den Begriff dyke über die Jahrzehnte an und verwenden diesen heute weitgehend als positive Selbstbezeichnung.
Wichtig ist dennoch: Innerhalb von Gruppen gibt es eine Vielzahl an geteilten und nicht geteilten Erfahrungen und Positionierungen. Auch Gruppen sind vielfältig! Dykes sind als nicht gleich Dykes. Dies zeigt beispielsweise auch dieses Video zu zwei anderen, relativ verwandeten Selbstbezeichnungen, wie Butch oder Stud.
Sprachliche Macht als Medienschaffende:r
Dies ist eine exemplarische Aufzählung von möglichen Machtpositionen in Bezug auf Sprache, die Medienschaffende haben:
Macht über Sichtbarkeit:
Wer spricht und wer wird gehört (Interview/ Reportage/ Fotostrecke)? Wessen Geschichte wird wie erzählt?
Macht über Anerkennung:
Stellen die Bilder gesellschaftliche Gruppen komplex dar? Werden Selbstzeichnungen verwendet?
Macht über Teilhabe:
Auf welche(n) Sprachen wird publiziert? Wo wird publiziert? Wer liest welches Medium? Ist es barrierefrei?
Macht über Ressourcen(verteilung): Wer profitiert und verdient an dieser Arbeit? Gebe ich Geld für Übersetzungen aus?
Natürlich sind Medienschaffende auch an Vorgaben von z.B. Redaktionen, Verlagen, der Filmbranche gebunden. Dennoch: Auch in einem Kontext, der in großen Teilen vorgibt, wer und wie repräsentiert werden soll, gibt es Handlungsspielräume. Kleine Handlungen können zu wichtigen Veränderungen führen.
Wir stellen dir im Folgenden sechs Handlungsoptionen vor, die helfen können, um die Macht in deinem Sprachgebrauch zu erkennen, zu reflektieren und verändern zu können.
Falls du auch freiberufliche Arbeiten machst, hast du wiederum andere Handlungsmöglichkeiten.
Was kann ich tun?
Sprachliche Macht dekonstruieren:
Sechs Handlunsgstrategien
Berichtete Perspektiven
vervielfältigen
Was sind die sprachlichen Normen, die uns umgeben? Als Medienschaffende:r können wir dazu beitragen sprachliche Normen herauszufordern und berichtete Perspektiven zu vervielfältigen.
Normen brechen
Ich als Medienschaffende:r habe Einfluss darauf, welche Themen und Geschichten erzählt, gehört und gelesen werden. Auch indem ich über ein Ereignis nicht berichte, kann ich Macht ausüben. Auch Schweigen und Nicht-Berichten kann eine Form von (unsichtbarer) Machtausübung sein.
Mache ich deutlich, aus welcher Perspektive ich auf ein Thema schaue? Reflektiere ich dabei, dass ich eventuell Dinge nicht weiß oder nicht bzw. anders wahrnehme als beispielsweise Betroffene?
Meine Perspektive ist eine Perspektive und nicht allgemeingültig. So wird z.B. Weißsein als Perspektive aus der berichtet wird, meist nicht erwähnt und bleibt dadurch als macherhaltende Kategorie unantastbar. Bei Personen mit Rassismuserfahrungen wird hingegen schnell darauf verwiesen, dass sie ja subjektiv berichten würden, wenn es beispielsweise um Rassismus geht.
Welche Begriffe und Sprache verwende ich? Reproduziert mein Sprachgebrauch Macht und Stereotypisierungen? Auf welcher Sprache veröffentliche ich meine Arbeit?
Ich kann „unsichtbar“ gemachte Personen (marginalisierte Personen) zu Wort kommen lassen und ihren Perspektiven Gehör verschaffen. Wen frage ich als Expert:in an? Spreche ich mit oder über eine Person? Begegne ich ihr auf Augenhöhe? Stelle ich marginalisierte Personen sprachlich vielfältig dar und bringe sie nicht in eine absolute Opferrolle? Wem höre ich zu? Brauche ich eine:n Übersetzer:in?
Ich habe für eine Jubiläumsausgabe einer Zeitung den Auftrag eine Fotoreportage zu machen. Geplant ist eine Fotostrecke mit Interview anlässlich des 90. Geburtstags einer Person. Die Themen sind: Alltag im Alter, das Älter werden, Erlebnisse und Erinnerungen. Ich darf frei entscheiden, wen ich porträtiere. An wen denke ich zuerst? Wen frage ich an? Wer fällt mir gar nicht ein?
Porträtiere ich meinen Nachbarn, einen weißen, cis-gender, Single-Mann der sozialen Mittelschicht und seine Liebe zu den Blumen? Oder: Welche Erinnerungen, Erlebnisse, Ansichten zum älter werden und Alltagserfahrungen in Bezug auf Alter hat eigentlich eine 90-jährige Frau der asiatischen Diaspora in Deutschland? Diese Frau, früher: Theaterschauspielerin, wird aktuell nur zu Talkshows zum Thema Corona-Pandemie und antiasiatischer Rassismus eingeladen, um über ihre schmerzhaften rassistischen Erfahrungen zu sprechen. Mit dem Thema Älterwerden wird sie als Person gar nicht assoziiert. Mit deiner Reportage kannst du hier für eine Erweiterung der Blickwinkel sorgen.
Deutsch als Norm
In Deutschland wird meist vorausgesetzt, dass Menschen die deutsche Sprache lesen, sprechen und verstehen können. Deutsch kann als Muttersprache, als Zweitsprache oder als Fremdsprache gelernt und gesprochen werden. Mit guten Deutschkenntnissen haben Menschen Zugang zum (deutschen) Arbeitsmarkt, zu Bildung, zum Rechtssystem, zur Politik und vielen weiteren Lebensbereichen. Ohne Deutschkenntnisse bestehen diese Zugänge hierzulande jedoch nicht oder nur eingeschränkt. Die deutsche Sprache nicht zu können, schließt Menschen von ihrer gesellschaftlichen Teilhabe aus und führt zu einer Chancenungleichheit. Für Deutschsprechende bedeutet dies zugleich Macht und Privilegien zu haben.
Sprachkenntnisse lassen sich nicht am Aussehen einer Person festmachen. Das ist ein rassistisches Denken. Viele Menschen of Color sprechen eventuell ausschließlich oder am liebsten Deutsch. Viele weiß gelesene Menschen sind nicht deutsche Muttersprachler:innen und benötigen Übersetzungen.
Sichtbarmachen durch
Anerkennende Sprache
Mit Sprache können wir andere verletzen und diskriminieren. Wir können Sprache aber auch nutzen, um andere wertzuschätzen, anzuerkennen, sichtbar zu machen und zu stärken. Das ist das Ziel anerkennender Sprache.
Selbstbezeichnungen verwenden - Fremdbezeichnungen hinterfragen
Gesellschaftlich benachteiligte Personen und Gruppen werden oft mit herabwürdigenden und ausgrenzenden Begriffen (Zuschreibungen oder Fremdbezeichnungen) bezeichnet. Diese können mehr oder weniger offensichtlich als stigmatisierend wahrgenommen werden. Mit Selbstbezeichnungen (wie z.B. Taube Person, Butch oder Kanackin) wehren sich diese Gruppen gegen solche Begriffe. Fremdbezeichnungen verstärken eine stereotype Einteilung in wir und „die anderen“. Diese fremdbestimmte Unterscheidung wird auch „Othering“ genannt. Bei der Medienproduktion ist es sehr wichtig zu reflektieren, welche Geschichte bestimmte Begriffe haben und ob es sich um Selbst- oder Fremdbezeichnungen handelt. Im Sinne von anerkennender Sprache sollten Selbstbezeichnungen von marginalisierten Personen und Gruppen verwendet werden und somit die selbstgewählten Bezeichnungen öffentlich bekannter gemacht werden.
Geschlechtergerechte Sprache (Gendern)
Geschlecht ist eine der wirkmächtigsten Kategorien in unserer Gesellschaft. Eine geschlechtergerechte Sprache kann helfen, die Geschlechtervielfalt in der Gesellschaft sichtbar zu machen. Durch das Verwenden von einem Gender-Doppelpunkt (:), dem Gender-Stern (*) oder dem Gender Gap (_) werden Männer und Frauen ebenso angesprochen wie trans*, inter* oder nicht-binäre Personen. Geschlechtergerechte Sprache kann auch dazu verwendet werden, um Geschlecht weniger Bedeutung in der Gesellschaft zu geben. Dazu sind genderneutrale Formulierungen hilfreich, also: Assistenz statt Assistent:in, um die Tätigkeit anstatt das Geschlecht einer Person zu betonen.
Mehr zum Thema gendergerechte Sprache und zum Umgang mit Pronomen findest du hier.
Die Frage, welche Form des Genderns am barriereärmsten ist greifen wir in diesem Argumentationspapier auf. Wie sich gendern mit Leichter Sprache vereinen lässt wird in unter Strategie 4 thematisiert.
Neutralisieren
Sprachliche Kategorien und Einteilungen dienen oft dazu Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Oft sind diese Einteilungen so selbstverständlich, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Wir hinterfragen sie nicht mehr. Jedoch haben sie vielleicht an einer bestimmten Stelle gar keine Relevanz. So könnten wir überlegen, warum das Geschlecht bei der Anrede (z.B. in einer E-Mail) eigentlich so wichtig ist. Warum ist das Geschlecht eine Information, die wir sofort meinen wissen zu müssen? Manchmal brauchen wir (kategorisierende) Informationen an einer bestimmten Stelle also gar nicht erwähnen. Ob etwas geschrieben oder gesagt wird, heißt immer auch, dass etwas nicht gesagt wird. Überprüfe: Warum ist das jetzt wichtig? Was erwähne ich und was erwähne ich nicht?
Durch sprachliche Neutralisierung kannst du z.B. den Fokus auf die Aktivität, die Expertise, die Erlebnisse lenken. Sind für den Kontext die Behinderung, die Herkunft, die Religion oder das Geschlecht (etc.) überhaupt relevant? Du kannst auf irrelevante Infos verzichten. Dadurch vermeidest du auch die damit verbundenen Assoziationsketten. Diese Assoziationsketten enthalten z.B. Bewertungen und stereotypisierende Vorstellungen. Verzichtest du an einer Stelle auf nicht relevante kategorisierende Begriffe (wie Behinderung, Herkunft etc.), werden die Assoziationsketten bei den Lesenden dann gar nicht erst aufgerufen.
Mehr zum Thema Neutralisierung durch Sprache erfährst du unter der Rubrik „Gender und Sprache“.
Zugänge durch Sprache(n)
Als Medienschaffende können wir durch die Wahl der Sprachen Zugänge und Anerkennung schaffen. Wir können z.B. Übersetzungen in Leichte Sprache und die Deutsche Gebärdensprache anfertigen lassen. Oder Medien mehrsprachig gestalten. Hierfür sollten frühzeitig finanzielle Ressourcen eingeplant werden.
Leichte Sprache
Leichte Sprache bedeutet zum Beispiel:
– Einfache Worte
– kurze Sätze
– Bilder helfen, den Text zu verstehen
– Textleser lesen den Text
Textleser sind Menschen,
für die der Text geschrieben ist.
Zum Beispiel:
Menschen mit Behinderung.
Und:
Alle Menschen ärgern sich über schwierige Texte. Außer es handelt sich um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Probier aus, ob dein Text leicht verständlich ist. Gib einige Sätze in diesen Speech-to-Text-Reader ein. Schließe deine Augen und höre genau zu.
Quelle: Lebenshilfe Bremen
Eine Regel zur Leichten Sprache schreibt vor, zuerst die männliche und dann die weibliche Form auszuschreiben. Also: Arbeiter und Arbeiterinnen. Sonderzeichen wie der Gender-Stern (*) oder die Gender Gap (_) sollen in Leichter Sprache nicht verwendet werden. Die Wörter werden mit den Sonderzeichen für die Zielgruppe unlesbar oder unverständlich. Sollen der Stern oder die Gap doch verwendet werden, ist es wichtig, diese in Leichter Sprache zu erklären.
Auch neutrale Begriffe können zu schwierig sein. Sie werden von der Zielgruppe manchmal nicht verstanden. Nicht so gut: Interessierte oder Lehrkraft. Besser: Mensch oder Person.
Mehr Informationen zu Leichter Sprache und Gendern gibt es auf der Website: www.genderleicht.de.
Deutsche Gebärdensprache
Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist seit 2002 eine anerkannte Sprache in Deutschland. Die DGS hat ein eigenes Sprachsystem mit Handzeichen, Mimik und Körperhaltung. Menschen, die von Geburt an nicht hören können oder früh ertaubt sind nutzen Gebärdensprache. Gebärdensprachen sind ein gutes Kommunikationsmittel. Auch taub-blinde und hörende Menschen können Gebärdensprache erlernen. Gebärdensprache ist nicht international, es gibt verschiedene Sprachräume.
Mehrsprachigkeit
Mehrsprachigkeit ist in einer zunehmend globalisierten Gesellschaft eine wichtige Ressource. Fast jede fünfte Person, die in Deutschland lebt, hat eine Einwanderungsgeschichte (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018). Viele Familienmitglieder, vor allem Kinder aus diesen Familien, sind mehrsprachig. Das beutet, sie sprechen Deutsch und noch eine oder mehrere andere Sprache(n). Mehrsprachigkeit wird in Deutschland häufig gesellschaftlich und politisch nicht als eine positive Ressource mit entsprechender Anerkennung wahrgenommen.
Je nachdem, um welche Sprache es sich handelt, werden Menschen für Mehrsprachigkeit sogar abgewertet oder bestraft. So erhielt eine Schülerin in Bayern eine Strafaufgabe von ihrer Lehrerin, weil sie auf dem Schulhof Türkisch sprach.
Es ist daher wichtig, Mehrsprachigkeit als Normalität abzubilden. Zum Beispiel durch eine mediale Darstellung als Ressource und Bereicherung.
Empowern durch Sprache
Sprache(n) können als Mittel des Empowerment genutzt werden. Dies äußert sich momentan viel in der Musikszene. Abwertende Begriffe werden beispielsweise von Betroffenen geclaimed (siehe Beispiel der Rapperin Ebow unten) und positiv gewendet.
"Claimen" und Empowerment
Das „Claimen“ von Begriffen ist eine sprachliche empowernde Strategie. Sie wird häufig im Rap verwendet. Diskriminierende Begriffe werden hier von Betroffenden bewusst genutzt. Fremdzuschreibungen werden dabei in Selbstbezeichnungen transformiert. Ziel ist es, z.B. der eigenen Geschichte(n) Sprache zu verleihen, die eigene Community anzusprechen, eine kollektive Erinnerung auszusprechen, die diskriminierenden Begriffe mit neuen Bedeutungen zu besetzen, (Sprach)räume zurück zu holen und Sichtbarkeit zu schaffen. Ähnlich wie das K-Wort bei Ebows Song K4L wird das N-Wort häufig im US-amerikanischen Rap verwendet.
Sei dir bewusst, dass dies eine empowernde Strategie betroffener Personen sein kann. Dies ist keine Legitimierung für dich als weiße Person, die Begriffe zu verwenden.
In dem Song K4L claimt Ebow das Wort „Kanack“ und rappt eine Hymne für die K-Community.
In dem Interview von Jan Kawelke und Vassili Golod (Macciavelli-Podcast) mit Ebru Düzgün (Ebow) auf dem Repperbahnfestival 2019 fragt Vassili Golod: „K4L“, „Kanack for Life“, kann ich das so sagen?
Ebru Düzgün: Du wirst wahrscheinlich eher als weiß gelesen. Das ist schwierig, wenn du das sagst, denn egal in welchem Kontext, es wird immer eine Beleidigung sein, weil du aus einer anderen Position herauskommst.
Shownotes
Der Song K4L ist hier zu hören
Sprache (de)kolonialisieren
und durch Sprache empowern
Oppressive language does more
than represent violence;
it is violence;
does more
than represent the limits of knowledge;
it limits knowledge.
Toni Morrison, Nobel Lecture, 1993
(Deutsch: Die Sprache der Unterdrückung stellt mehr als Gewalt dar. Sie ist Gewalt. Sie stellt mehr als nur die Grenzen des Wissens dar. Sie begrenzt Wissen.)
Sprache ist über Jahrhunderte gewachsen und entwickelt sich fortwährend weiter. Sprache trägt daher ein historisches Erbe. Manchmal ist dieses Erbe brutal, ausschließend, menschenverachtend und abwertend. So wurden im Zuge der Kolonialisierung Sprachräume mit Gewalt neu definiert und einheimische Sprache verboten. Sprache(n) können aber auch als Mittel der Dekolonialisierung genutzt werden. Sprechen wir über Dekolonialisierung und Sprache ist ein großer Aspekt natürlich auch: Deine persönliche Macht als Medienschaffende:r bewusst und aktiv zu dekonstruieren. Lerne Hierarchien und Machtverhältnisse wahrzunehmen und zu verändern, beispielsweise, indem du unterdrückte Menschen selbst zu Wort kommen lässt.
Kolonialisierung und Sprache
Die Kolonialmächte haben Menschen in den Kolonien Gewalt angetan, sie ihrer Geschichten, Ressourcen und Kultur beraubt. Die Kolonialmächte haben Grenzen festgelegt und existierende Sprachräume brutal geteilt und zugleich neue definiert. Zugleich wurde Sprache in den Kolonailmächten z.B. Deutschland benutzt, um vermeintliche Differenzen zwischen „wir“ und „den Anderen“ zu schaffen und sprachlich zu manifestieren. Auf dieser Grundlage konnte die gewaltvolle Ausbeutung von Menschen durch Sprache (und Bilder) legitimiert werden.
In vielen ehemals kolonialisierten Ländern ist bis heute nur die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht offizielle Amtssprache. In Ghana werden heute um die 75 Sprachen gesprochen – verdängen konnten die Kolonialmächte diese nicht. Offizielle Amtssprache ist jedoch Englisch. Das bedeutet, dass zum Beispiel in Schulen Englisch gesprochen wird.
Dekolonialisierung und Sprache
Häufig wird z.B. in Ghana nicht Englisch (Amtssprache), sondern Pidgin-English gesprochen. Pidginsprachen und Kreolsprachen sind sogenannte „Mischsprachen“. Sie orientieren sich an den Kolonialsprachen, sie haben jedoch eine andere Grammatik. Pidginsprachen und Kreolsprachen erhalten immer mehr Anerkennung, v.a. in der Musikszene.
FOKN Bois setzten Pidgin-English, die ghanaische Sprachvielfalt und lokal-spezifische Begriffe ganz bewusst ein, so auch in ihren Song „Wo Nim Mi„. Der Songtitel meint frei übersetzt: „Jetzt meinst du mich zu kennen, weil ich erfolgreich bin.“
Mehr
Das Thema Sprache ist in der Medienarbeit von besonderer Bedeutung. Daher findest du in jedem Bereich unserer Webseite unter der Rubrik „Dimensionen von Diskriminierung“ eine Extraseite nur zum Thema Sprache:
Hier findest du unser Glossar
Wörterbuch: Diversity Arts Culture
Glossar: Neue deutsche Medienmacher:innen
Glossar: Wir müssen reden
Begriffe zu Behinderung: Leidmedien
Leichte Sprache: Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung
Nachrichten auf Pidgin Englisch: BBC
Infos zu: Geschickt Gendern
Artikel: Framing in der Debatte um Moria: Wer Geflüchtete als Migranten bezeichne, meint, dass sie ihr Land freiwillig verlassen hätten.
Kurztipps
Handlungsoptionen:
sprachliche Strategien
sprachliche Strategien
Was sind die sprachlichen Normen die mich umgeben? Als Medienschaffende:r können wir beitragen sprachliche Normen herauszufordern und berichtete Perspektiven zu vervielfältigen. Du kannst z.B. gezielt Leute zu Wort kommen lassen, die sonst häufig „unsichtbar“ gemacht werden oder meist nur aus einer Betroffenenperspektive eingeladen werden zu berichten.
Mit Sprache(n) können wir andere verletzen und diskriminieren. Wir können sie aber auch dazu nutzen, um andere wertzuschätzen, anzuerkennen, sichtbar zu machen und zu stärken. Das ist das Ziel anerkennender Sprache. Wir können lernen zuzuhören, Selbstbezeichnungen wählen, Fremdbezeichnungen hinterfragen und geschlechtergerecht formulieren.
Oft sind sprachliche Kategorien und Einteilungen so selbstverständlich, dass wir sie nicht mehr wahrnehmen. Wir hinterfragen sie nicht mehr. Jedoch haben sie vielleicht an einer bestimmten Stelle gar keine Relevanz. Überprüfe: Warum ist das jetzt wichtig? Was erwähne ich und was erwähne ich nicht? Durch sprachliche Neutralisierung kannst du z.B. den Fokus auf die Aktivität, die Expertise, die Erlebnisse lenken. Sind für den Kontext die Behinderung, die Herkunft, die Religion oder das Geschlecht (etc.) überhaupt relevant? Du kannst auf irrelevante Infos verzichten.
Du als Medienschaffende*r kannst durch die Wahl deiner Sprachen Zugänge und Anerkennung schaffen. Du kannst z.B. Übersetzungen in Leichte Sprache und die Deutsche Gebärdensprache anfertigen lassen. Oder deine Medien mehrsprachig gestalten. Hierfür sollten frühzeitig finanzielle Ressourcen eingeplant werden.
Sprache(n) können als Mittel des Empowerment genutzt werden. Dies äußert sich momentan viel in der Musikszene. Abwertende Begriffe werden beispielsweise von Betroffenen geclaimed und positiv gewendet. Fremdzuschreibungen werden dabei in Selbstbezeichnungen transformiert. Ziel ist es, z.B. der eigenen Geschichte(n) Sprache zu verleihen, die eigene Community anzusprechen, eine kollektive Erinnerung auszusprechen, die diskriminierenden Begriffe mit neuen Bedeutungen zu besetzen, (Sprach)räume zurück zu holen und Sichtbarkeit zu schaffen.
Aus welcher Perspektive werden historische Ereignisse in Geschichtsbüchern erzählt? Welche Geschichten werden nicht erzählt? Durch die Kolonialisierung wurden Sprachräume mit Gewalt neu definiert. Zugleich wurde Sprache in den Kolonialmächten z.B. Deutschland benutzt, um vermeintliche Differenzen zwischen „wir“ und „den Anderen“ zu schaffen und sprachlich zu manifestieren, um Gewalt zu legitimieren. Sprache(n) können aber auch als Mittel der Dekolonialisierung und des Empowerment genutzt werden. Dies äußert sich momentan viel in der Musikszene. Begriffe werden von Diskriminierung Betroffenen „geclaimt“ (für sich selbst beansprucht). Auch wird Musik auf Pidign- und Kreolsprachen bekannter und anerkannter. Sprechen wir über Dekolonialisierung und Sprache ist ein großer Aspekt natürlich auch: Deine persönliche Macht als Medienschaffende:r bewusst und aktiv zu dekonstruieren. Hierarchien verstehen lernen, ein Machtkritisches verhalten umzusetzen, Zuhören und marginalisierte Menschen selbstbestimmt zu Wort kommen lassen sind Handlungsoptionen
- Hilfen zur Überprüfung von deinem Sprachgebrauch
- Ist deine Sprache anerkennend? Benutzt du Selbstbezeichnungen und gendergerechte Sprache?
- Überprüfe deinen Text auf diskriminierende Begriffe und Zuschreibungen. Suche nach anerkennenden Formulierungen
- Prüfe gängige Begriffe auf deren historischen und politischen Kontext
- Verallgemeinere nicht
- Erweitere deine Zielgruppe und lasse Übersetzungen in Leichte Sprache, Gebärdensprache oder andere Sprachen anfertigen
- Benenne deine eigene Perspektive und Positionierung
- Thematisiere die häufig unsichtbaren Geschichte(n) marginalisierter Communities
- Erwähne Zugehörigkeiten zu marginalisierten Communities nur, wenn diese explizit für den Kontext relevant sind
- Frage nach, auf welcher Sprache kommuniziert werden soll und nehme dir Übersetzer:innen mit