Fall: Geburtstagszug

Der Fall

Bildquelle: BGH, Urteil vom 13.11.2013, Az.: I ZR 143/12

Die Klägerin ist selbständige Kinderbuchillustratorin und Spielwarendesignerin. Die Beklagte stellt Spielwaren her und vertreibt sie.

Die Klägerin zeichnete für die Beklagte im Jahr 1998 unter anderem Entwürfe für einen Zug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Ziffern aufstecken lassen („Geburtstagszug“). Dafür erhielt sie ein Honorar von 400 DM.

Die Klägerin ist der Ansicht, bei ihren Entwürfen handele es sich um urheberrechtlich geschützte Werke. Die vereinbarte Vergütung sei – jedenfalls angesichts des großen Verkaufserfolgs des Geburtstagszugs – zu gering. Sie nimmt die Beklagte deshalb auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH urteilte, an den Urheberrechtsschutz von Werken der angewandten Kunst seien grundsätzlich keine anderen Anforderungen zu stellen als an den Urheberrechtsschutz von Werken der zweckfreien bildenden Kunst oder des literarischen und musikalischen Schaffens. Es genüge daher, dass diese eine Gestaltungshöhe erreichen, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauungen einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer „künstlerischen“ Leistung zu sprechen.

Dies gelte grundsätzlich auch für die von der Klägerin angefertigten Entwürfe. Sie habe allerdings keinen Anspruch auf Vergütung, soweit die Beklagte ihre Entwürfe vor dem Inkrafttreten des sog. Geschmacksmusterreformgesetzes am 1. Juni 2004 verwertet hat. Bis dahin habe die Beklagte im Blick auf die hergebrachte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darauf vertrauen dürfen, wegen einer Verwertung dieser Entwürfe nicht auf Zahlung einer (weiteren) angemessenen Vergütung in Anspruch genommen zu werden.

Der BGH hat die Sache an das Berufungsgericht (OLG Schleswig) zurück verwiesen, das zu prüfen hatte, ob von der Klägerin entworfenen Spielwaren den geringeren Anforderungen genügen, die seit diesem Urteil an die Gestaltungshöhe von Werken der angewandten Kunst zu stellen sind.

Das OLG Schleswig verneinte im Ergebnis die Schutzfähigkeit des Geburtstagszugs, weil hierfür ein vorhandenes Vorbild bestanden habe. Zwar seien Veränderungen vorgenommen worden. Die entscheidende Veränderung gegenüber dem Vorbild liege jedoch im Gebrauchszweck als Geburtstagszug selbst. Die Idee selbst allerdings sei nicht urheberrechtlich geschützt. Schutzfähig sei vielmehr nur das Gestaltungsergebnis. Eine individuelle Schöpfung scheide aus, weil in dem Geburtstagszug „lediglich vorhandene Ausdrucksformen wiederholt werden, ohne dem Werk persönliche Züge zu geben“.

Anders urteilte das OLG Schleswig im Fall der sog. Geburtstagskarawane, siehe Abbildung unten. Hierfür habe es kein vergleichbares Vorbild gegeben. Die Karawane stelle eine eigene Variation von bekannten Elementen dar. Mit der Geburtstagskarawane werde das vorhandene Vorbild des Geburtstagszuges gänzlich neu gestaltet, indem Lokomotive und Waggons durch Tierfiguren ersetzt werden. Die gewählte kindgerechte Gestaltung sei nicht etwa nur eine von mehreren dem Gebrauchszweck geschuldeten Varianten. Maßgeblich für die Werkqualität sei, dass die Klägerin beim Entwurf der Geburtstagskarawane ihren Gestaltungsspielraum in künstlerischer Weise ausgenutzt habe.

Bildquelle: BGH, Urteil v. 16.06.2016, Az.: 1 ZR 222/14

Relevanz für OER

Die beiden Fällen zeigen, dass die Gerichte sehr feine Abstufungen bei der Beurteilung der Werksqualität vornehmen. Ist ein Werk nicht geschützt, etwa weil es sehr einfach oder nicht originell gestaltet ist, handelt sich nicht um ein Werk im Sinne des Urheberrechts und kann insoweit, auch im Rahmen von OER, frei weiter genutzt werden. Dies gilt etwa für sehr durchschnittlich gestaltete und gebräuchliche Zeichnungen, Säulendiagramme oder Pläne.

Die Einschätzung zur Schutzfähigkeit ist jedoch anspruchsvoll und erfordert eine eingehende Kenntnis der Rechtsprechung. Wichtig für Frage der Werksqualität ist auch, welche Vorbilder es bereits gibt, von denen der oder die Gestalter*in auch Kenntnis hat. Es handelt sich somit immer um Einzelfallentscheidungen.

Quelle:
BGH, Urt. v. 13.11.2013, Az. I ZR 143/12
OLG Schleswig, Urt. v. 11.09.2014, Az. 6 U 74/10
BGH, Urt. v. 16.06.2016, Az. I ZR 222/14